David Spring – Redakteur
Dabei seit: September 2019
Was für ein Jahr! Eigentlich sollten sich unsere Jahresrückblicke zumindest am Rande ein wenig um das Musikgeschehen der Schweiz und der Welt drehen. Doch bei mir stand dieses Jahr Eines weit über allem anderen: die Geburt meiner Tochter! Nichts stellt die Welt eines konzertfanatischen, musikbegeisterten, stetsaufachsebleibenden Mittdreissigers so auf den Kopf, wie die Ankunft einer wundervollen kleinen Mini-Me – mein Herz macht jeden Tag aufs Neue Purzelbäume. Doch, entsprechend wenig war dadurch in der zweiten Jahreshälfte bei mir an Konzerten los.
Trotzdem durfte ich dank ARTNOIR nicht wenigen grossartigen Shows beiwohnen. Mehrheitlich waren dies kleinere, lokale Dinger, so wie es mir am besten gefällt, doch lagen auch ganze fünf Festivals auf dem Programm – von brutalem Metal zum Jahresbeginn beim Meh Suff! Winterfestival, erstklassigem Punk beim Blaues Pferd bis hin zu den ganz Grossen der Pop- und Rock-Welt bei Rock Im Park und am Greenfield. Und, am schönsten aller Festivals, dem Openair Gränichen, durfte ich dieses Jahr sogar selber auftreten. Denn ja, nicht nur bin ich 2024 Vater geworden, sondern auch der neue Gitarrist der – in meinen Augen – vorzüglichen Punkband Malewicz. Man trifft mich fortan also nicht nur vor sondern gelegentlich auch auf der Bühne an.
Musikalisch war 2024 ein wundervolles Jahr, abwechslungsreich und qualitativ hochwertig, wie schon lange nicht mehr. Die Eckpfeiler waren für mich Punkrock und Black Metal, mit ganz vielen Bands und Künstler:innen aus der Schweiz, und wie immer gab es von Pop und Hip Hop bis hin zu Grindcore und Noise in allen Bereichen unglaublich viel zu hören und zu entdecken. Es ist eine Ehre und ein grosses Glück, für ARTNOIR all diese wunderbare Musik geniessen und beschreiben zu dürfen.
Ich könnte noch viel schwadronieren, auch darüber, wie schlecht und kaputt die Welt ist. Aber tatsächlich fällt es mir schwer, zurzeit allzu negativ zu sein. Ja, das ist ein grosses Privileg, dessen ich mir sehr bewusst bin, allerdings ist auch niemandem geholfen, wenn ich bei so viel Glück und Lebensfreude alles stets nur schwarzmalen würde. Darum freue ich mich auf 2025 und hoffe, dass nicht alles den Bach runter geht, sondern dass wir alle ganz viel Hoffnung, Liebe, Energie und gute Musik in unseren Leben finden können. Anders geht es eh nicht.
Ein riesengrosses DANKE an die wundervollen, extrem talentierten und leidenschaftlichen Menschen bei ARTNOIR, an Teo, David und Vivien von Malewicz, an alle Freunde und Familie, und natürlich an mon Amour und unseren kleinen, lauten, ultra-süssen Sprössling.
Und nun, wie es sich gehört, endlose Listen, damit dieser Jahresrückblick auch offiziell ein solcher ist! Wie immer in alphabetischer oder chronologischer Reihenfolge, man ist ja schliesslich Profi.
Top Konzerte
- 15.02.2024 DMB Label-Night im Dynamo Werk 21, Zürich
Nicht nur war diese Show mitverantwortlich dafür, dass ich nun bei Malewicz, die an diesem Abend zusammen mit Homewards und Raid 409 das Werk 21 rockten, dabei bin, sondern zeigte sich auch wieder, wie fantastisch die heimische Punk-Welt ist. - 24.02.2024 Adam Angst in der Substage, Karlsruhe (DE)
Derzeit vielleicht die beste deutsche Punkband überhaupt. Felix Schönfuss und Co. rissen nicht nur das diesjährige Openair Gränichen ab, sondern lieferten auch in Karlsruhe eine fantastische Show. - 01.03.2024 WIZO im Volkshaus, Zürich
Der alte Gevatter Punk von WIZO hats immer noch drauf. Ein Fest für die ganze Familie, legendäre, unsterbliche Punk-Hymnen und einfach immer wieder schön. Anarchie sein, muss, bleibt! - 07.03.2024 Fraupaul im Kofmehl, Solothurn
Fraupaul werden nächstes Jahr ganz gross, da bin ich mir sicher, steht doch ihr Debüt-Album kurz bevor. Live ist das sympathische Punktrio aus Hamburg eine Macht, wie sie in Solothurn bewiesen. - 05.04.2024 Fluffy Machine im Nouveau Monde, Fribourg
Eines der wildesten und schönsten Konzerte des Jahres. Bierselige, äusserst amüsante Albumtaufe der legendären Fluffies, dazu vorzüglichen Support von Athlete und Fire Cult, einfach schön. - 13.04.2024 Devil Master + Dödsrit im Gaswerk, Winterthur
Im kleinen Gaswerk-Keller ging es schaurig laut und böse zu und her, als diese beiden grossartigen Black Metal Gruppen uns das Fürchten lernten und die Haare in Wallung brachten. - 11.05.2024 Clowns + March im Werkk, Baden
Wahrscheinlich das Konzert des Jahres für mich. Die unvergleichlich chaotische Energie von Clowns gepaart mit der Intensität der grossartigen March – absolute Punk’n’Roll Perfektion! - 24.05.2024 Wolves In The Throne Room + Gaerea in der Schüür, Luzern
Gaerea live sind einfach immer wieder eine unmenschliche Macht. Unvergleichbar, diese Band. WITTR überzeugten live ebenso, ein ganz spezieller, brachialer und wunderschöner Konzertabend. - 30.05.2024 Lola Boum im Helsinki, Zürich
Albumtaufen sind immer besonders schön, vor allem, wenn es um die neue Platte einer der sympathischsten Punk-Bands des Landes handelt. Immer wieder schön bei euch. - 19.10.2024 No Sun Rises + Nidare im Ebrietas, Zürich
Das einzige Konzert, das nach der Geburt meiner Tochter dieses Jahr noch auf den Plan passte, doch wenn diese zwei fantastischen Black Metal Heroen aufspielen, hat man da zu sein. Ein Fest.
Top Alben
- 24/7 Diva Heaven – Gift
Endlich neue Musik der wundervollen 24/7 Diva Heaven. Und ach wie gut die neue Platte ist, Mary, Kat und Karo sind unaufhaltsamer und besser denn je. - Coilguns – Odd Love
Eckig, kantig, laut und rüpelhaft, so experimentell wie es eingängig ist. Wenn Coilguns abliefern, dann so richtig. Ein fantastisches Werk der Jungs aus La Chaux-de-Fonds. - Dead Years – Night Thoughts
Eine der grossen Entdeckungen dieses Jahr. Vom Sound der 80er inspirierter Post-Punk mit rastlos treibenden Rhythmen und viel Chorus. Auf jeder Ebene überraschend und überzeugend. - Ella Ronen – The Girl With No Skin
Indie-Pop ist nur selten meins, doch das gewaltige Werk von Ella Ronen überzeugt nicht nur mit vorzüglichen Melodien und tollen Kompositionen, vor allem aber danke der tiefschürfenden Inhalte. - Expellow – Signals On Swells
Obwohl ich vielleicht Gefahr laufe, diese grossartige Band fast schon zu sehr zu hypen, aber «Signals On Swells» ist wahrscheinlich tatsächlich mein Album des Jahres. Was für ein Brett. Perfekt. - Fucking Angry – …Still Fucking Angry!
Gehört schon nur wegen Band- und Albumname in die Liste. Aber ehrlich, der Sound der Band ist einzigartig, die Message klipp und klar und die Songs gehen einfach zu geil ab. - Machukha – Mochari
Wohl das schwierigste Album des Jahres, aber so verdammt einschlagend, vernichtend, wichtig und unverzichtbar. Was diese Band kreiert, lässt niemanden kalt. - New Skeletal Faces – Until The Nights
Death Rock, mein neues Lieblingsgenre. Erstklassiges Cover-Artwork, doch vor allem überzeugt die Musik dieses düster-spassigen Trios. Schon lange hat böse Musik nicht mehr so viel Spass gemacht. - Selbstbedienung – Selbstbedienung
Eine Ehre war es, mit Selbstbedienung am TAWB in Luzern eine Bühne teilen zu dürfen. Und die neue Platte ist schlicht perfekt, Deutschpunk, so wie er sein soll. 2F1D, meine Lieben! - Yu – Please Hold The Line
Queerer Indie-Pop mit der klaresten Kante, die man sich vorstellen kann. «Nazis erschiessen» ist das Statement, das wir alle brauchen, und Yu liefert ein saustarkes Debüt ab. Ganz grosses Kino.
Top Songs
- Ginny Loon – Pretty Alright
Diese wahrhaft fantastische Selflove-Hymne lässt die Hände in die Luft schnellen und motiviert ungemein, es der Sängerin aus Winterthur gleichzutun und sich selbst endlich wieder etwas mehr zu akzeptieren. - Illegale Farben – Gefühle
Brachial, verquer und aggressiv, mit einem fulminanten Refrain, der im Ohr bleibt, und einem feinen Feature mit Cecilia Boström von The Baboon Show. Wundervoll. - Kettcar – München
«Mein Herz ist ein totgeschlagenes Robbenbaby.» Das beste und wichtigste Lied des Jahres. Gänsehautmoment, unverzichtbar, unglaublich. - Klabusterbernd – Stammtischparolen
Geradliniger Punkrock einer jungen Deutschen Band. Der tolle Text wird leider wohl niemals an Relevanz verlieren. - Liser – Fett
HipHop und Electrobeats? Yes, unbedingt, zumindest, wenn die Künstlerin, die solche Musik macht, so viel zu sagen hat und ein derart bombastisches, wichtiges und tolles Brett wie diesen Song abliefert. - Das Lumpenpack & Adam Angst – Kruppstahl, Baby
Ein Lied, wie es nur einmal pro Jahrzehnt geschrieben wird. Intensiver, extrem relevanter Text und die beste Zeile des Jahres: «ihr werdet zwar jeden Tag lauter doch wir werden jeden Tag mehr. […] Euch gehören die Uhren doch uns gehört die Zeit.» - Malewicz – Eux Et Nous
Okay, etwas peinlich vielleicht, meine eigene Band hier zu nennen… Immerhin: als dieser Track entstand, war ich noch nicht dabei und ein verdammtes Brett ist er halt schon. Tja… - Marie Curry – Orcas
Gleich nochmals Hiphop, was geht hier denn ab? Diese unverschämt tanzbare Nummer mit dem grossartigen Text ist einfach zu gut, um nicht Erwähnung zu finden. - Massendefekt – Nicht Ok
Mit reisserischen Chören und tollen, eingängigen Gitarren-Leads macht dieser Track tierisch Spass. Skate-Punk à la Sum 41 oder Blink 182 mit ordentlichem Text – einfach geil! - Nikra – Wer hat diesen Körper designt?
Eine brutal ehrliche und schonungslose Abhandlung zu den Themen Körperdysphorie und Schönheitsidealen und wohl eines der wichtigsten Lieder aus der Feder dieser faszinierenden Künstlerin.