Eigenveröffentlichung / VÖ: 26. Mai 2025 / Tropical Dead Grunge
retromorcego.com
Text: Torsten Sarfert
Mit ihrem dritten Studioalbum Nada Além do Pó (Deutsch: „Nichts als Staub“) liefert das in Basel ansässige schweizerisch-brasilianische Duo Retromorcego – bestehend aus Comic-Künstler Koostella (Guitar, Bass, Vocals, Artwork) und Noé Sébastien (Drums, Backing Vocals) – ein wuchtiges Manifest aus kosmischem Grunge, tropischer Schwermut und ironischem Okkultismus. Es ist eine wütende, schmutzige Messe gegen die Herrschaftsstrukturen dieser Welt – und zugleich ein Triumph ihrer einzigartigen Ästhetik.
Retromorcego bleiben ihrem selbst erfundenen Genre „Tropical Dead Grunge“ treu. Auf Nada Além do Pó vermischen sich die schweren Riffs eines 90er-Jahre-Grunge-Geistes – allen voran der rohe, dreckige Einfluss von Nirvana – mit der dunklen Schwere von Black Sabbath, brasilianischen Rhythmen und der ungebändigten Energie rebellischer Punk-Attitüde. Pio Schürmanns Keys fügen dem Klangkosmos eine tiefere, fast psychedelische Schicht hinzu. Produziert wurde das Album im April 2024 in Basel von Alain Meyer – rau, ehrlich und direkt auf die Zwölf.
„Ich würde länger bleiben, wenn es gut wäre / Ich würde es umsonst machen, wenn es gut wäre / Ich würde es nicht hassen, wenn es gut wäre /Ich würde mich nicht beschweren, wenn es gut wäre / Ich wurde trainiert, der zu sein, der ich nie sein wollte / Heute will ich leben – Heute will ich trinken“, heisst es in Horrévs, einer der Hymnen des Albums. Eine schlichte, rohe Kampfansage gegen ein Leben im Zwang in zornige Poesie gegossen. Die Welt wird hier als „unglaubliches Leben“ und „furchtbare Arbeit“ beschrieben, eine Einsamkeit, die nichts zurücklässt als Staub.
Die harsche Systemkritik setzt sich bei “Desobedecer” fort: „Es gibt immer jemanden, der dir sagt, was zu tun ist. Du wirst schon lernen, nicht zu gehorchen.“ Retromorcego predigen eine Philosophie der Verweigerung und des heiligen Ungehorsams – ein Soundtrack für all jene, die lieber trinken und fluchen als resignieren.
Auch groteske Bilder bevölkern das Album: Ein Teufel mit „Affengesicht und Ziegenhorn“, der unartige Kinder entführt; ein Schild am Gartentor mit der Aufschrift „Vorsicht vor dem Hund“, das zur sarkastischen Metapher für soziale Kontrolle wird. In Songs wie „Insecuritas“ wird das Gut-Böse-Schema der modernen Gesellschaft seziert und blossgestellt: „Während die Armen die Armen töten, geht es den Reichen gut.“
Hier wird nicht auf Verständnis gehofft – hier wird gespuckt, geflucht und verhöhnt. Retromorcego treiben das Groteske bis zur Anthropophagie (Menschenfresserei) und feiern in “Hans Staden” (zum weiteren Verständnis bitte googeln!) den Kannibalismus als surreales Ritual der Befreiung. Schliesslich enden sie bei nihilistischen Hymnen wie „Lemniscata“, die die uralte Frage nach dem Ursprung von Sein und Schöpfer zynisch ad absurdum führen: „Gott ist eine Erfindung und nicht der Schöpfer.“
„Nada Além do Pó“ ist ein Album, das kompromisslos seine eigene Vision verfolgt. Retromorcego haben hier ein Werk erschaffen, das humorvoll und düster zugleich ist, rebellisch und dennoch voller subtilem Witz. Es ist ein wütendes, staubiges Manifest gegen die Gleichgültigkeit der Welt – ein Muss für alle, die sich dem Strom verweigern wollen.
Und sollte, wie im Bonus-Track “Jesus Vai Voltar” angekündigt, Jesus Christus tatsächlich zurückkommen – nach „Nada Além do Pó“ wird es nichts mehr zu retten geben.
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Mit freundlicher Genehmigung des Musikbüro Basel.