OVERDRIVE Nummer 5 / 117 Vol. 2
Umfang: 184 Seiten
VÖ: 12. Dezember 2020
Vertrieb: Sixteentimes Music
Website: overdrivemag.ch
Kaum zu glauben, aber es wird noch anderweitig über Musik und Szenengebaren geschrieben als bei ARTNOIR. Mit dem Anti-Kultur-Magazin OVERDRIVE haben sich Sandro Miescher und Luca Piazzalonga 2017 beim Jugendkulturfestival in Basel zu einer Printproduktion hinreissen lassen. Wild und roh das Ergebnis, zuerst ein Fanzine (man lese unsere Gedanken zu Ausgabe 2) und jetzt stolz ein Subkulturmagazin. Wie Punk ist denn das? Und mit Nummer fünf hat sich das Projekt professionalisiert.
Wenn man davon sprechen kann, solange auf den bedruckten Seiten nicht nur Schriftarten und grafische Elemente Purzelbäume schlagen, sondern sich die Inhalte weder kategorisieren noch zähmen lassen. Charts und News findet man im Internet, die freie Gruppe aus Autor*innen sucht bei OVERDRIVE lieber die Gratwanderung zwischen ernsten Gedankengängen und Absurditäten. David Hunziker schreibt über den verstorbenen Musiker Riley Gale, daneben werden Essig- und Gewürzgurken getestet, ein paar Seiten weiter sucht man nach Usernamen für eine bekannte Website voller nackter Menschen.
Wieso auch nicht? OVERDRIVE soll vor allem Freude bereiten, beim Erdenken, Machen und Lesen. Und das tut es, mit der unberechenbaren Form, mit viel Humor und dem furchtlosen Umgang unserer Kulturszenen. Fast hämisch freut man sich darüber, dass Piazzalonga und Miescher mit ihrem neusten Heft „das letzte Printmagazin der Welt“ sozusagen zu Grabe tragen. Das RCKSTR wurde überlebt, die kapitalistischen Monster ferngehalten. Ein Hoch auf die unscharfen Bilder der wilden Partynacht, ein Prosit auf die collagierten Seiten voller Wahnsinn, ein grosses Dankeschön für die kritische Auseinandersetzung mit herrschenden Machtverhältnissen in der Musik.
Und wem das Treiben zu radikal wird, der darf die Gegenseite der Medaille betrachten und sich in der zweiten Ausgabe von 117 vertiefen. Das neue Magazin der Schöpfer von 115-001 bis 115-003 ist ein Reigen aus Fotostrecken, DIY-Plakaten und mit Güte-Prägung. Da liebt man seine Freizeit. Und hofft heimlich, dass ARTNOIR seine digitale Umgebung einmal verlassen kann. Papier ist halt geil.
Text: Michael Bohli