Band: Max Richter
Album: Voices 2
Genre: Neoklassik
Label: Decca Records
VÖ: 9. April 2021
Webseite: maxrichtermusic.com
Entgegen der Annahme im Titel kommt „Voices 2“ ganz ohne Stimmen aus. Vielmehr ist es ein instrumentales Album zum Sinnieren und Reflektieren, wie sein Schaffer Max Richter erklärt. Als konsequente Fortsetzung von „Voices“, welches 2020 erschien, soll das Album die Gedanken schweifen und frei sein lassen. Wo auf dem Vorgänger die zarte Neoklassik noch mit unzähligen Stimmen in mehreren Sprachen verziert war, die alle aus der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ zitierten, steht hier mehr die Stille im Vordergrund.
In ambivalenten Ambient-Stuckaturen baut Richter „Voices 2“ leise und langsam auf. Haucht mit Piano- und Streicherelementen eine melancholische Gesamtstimmung hinein, die über weite Strecken etwas zu zaghaft bestehen bleibt. Alleinstehend ist dieses Album nur ein unspektakulärer Rohdiamant, der in der Masse und seiner schleichenden Trägheit abtreibt. Trotz glänzenden Zwischentönen, wie dem vom sanften Orgelspiel geprägten „Solitaires“ oder dem folgenden, monumentalen „Movement Study“, wirkt alles recht schleppend.
In der Gemeinsamkeit des Gesamtwerkes mit seinem Vorgänger funktioniert die Botschaft einwandfrei und gibt diesem zweiten Teil des Projekts seinen wahren Sinn: In der Stille zu sinnieren und reflektieren. Die Denkstrukturen dekonstruieren, befreien und schweifen lassen. So erkennt man plötzlich in „Prelude 2“ eine gelungene Fortführung von „Prelude“ in welchem, von Stimmen ganz ungestört, ein inniger Tanz vom trübem Piano mit klagenden Streichern entsteht. Wo „Prelude“ freudiger scheint, beinahe Zuversicht versprüht, treibt „Prelude 2“ ins Gegenteilige. So scheint Max Richter die Zwiespaltigkeit dieser feierlichen Schrift der Vereinten Nationen zu portraitieren. In der Fortsetzung von „Little Requiems – Cello Version“ kann man sich ohne die Sprache auf den Kern konzentrieren.
Ohnehin an musikalischer Perfektion lässt sich keine Sekunden zweifeln, versammelt Max Richter hinter allen Instrumenten meisterhafte Künstler, kein Misston ist zu hören und „Origins (Solo)“ ist ein wahres Geschenk an die pianistische Sanftmut. Man muss sich die Zeit nehmen, um die Gesamtheit dieses Projektes zu erfahren, was einem nicht schwer fallen sollte, bei diesem Grossmeister. Dann trifft „Voices 2“ den Kern seiner Botschaft. Aus „Voices“ und „Voices 2“ wird für mich ein pathetisches Werk, in dem sich viele Sprachen und Stimmen vereinen wollen, was im Kern der Sinn der Menschenrechte ist. In der heutigen Welt jedoch wirkt diese Erklärung wie ein Pamphlet. Beim Genuss vom minimalen Schlussakkord „Mercy Duet“ bleibt für mich die Frage zurück – bei soviel Gnade, für wen gelten diese 30 Artikel eigentlich?
Tracklist:
1. Psychogeography
2. Mirrors
3. Follower
4. Solitaries
5. Movement Study
6. Prelude 2
7. Colour Wheel
8. Origins (Solo)
9. Little Requiems – Cello Version
10. Mercy Duet
Bandmitglieder:
Max Richter
Mari Samuelsen
Ian Burdge
Robert Ziegler
Gründung:
1994
Text: Sebastian Leiggener