Matador Records / VÖ: 25. Juni 2021 / Indie
lucydacus.com
Text: Michael Messerli
Lucy Dacus macht gute bis sehr gute Alben. „Home Video“ ist ihr drittes. Und dennoch funkt es irgendwie nicht ganz. Zeit, der Sache auf den Grund zu gehen. Die junge Songwriterin aus Richmond, Virginia, deren Stimme immer etwas älter klingt, als sie ist, hat mit 26 Jahren musikalisch bereits einiges angestellt. Während von ihren drei Alben das zweite „Historian“ das beste bleibt, sticht auch die EP mit dem Projekt boygenius heraus. Zusammen mit Phoebe Bridgers und Julien Baker hat sie damit eine Türe aufgestossen, hinter der sich Grosses verbirgt. Alle drei haben seither ein weiteres Album veröffentlicht bzw. “Home Video“ beschliesst nun ebendiesen Reigen.
Während Phoebe Bridgers mit „Punisher“ letztes Jahr endgültig voll eingeschlagen hat, verwählte sich Julien Baker leider mit „Little Oblivions“ trotz guten Songs in der Produktion. Trotzdem kennt und schätzt man Baker von diversen Kooperationen sehr, ihr Debüt wurde vom Geheimtipp zum berechtigten Hype. Lucy Dacus steht etwas im Schatten ihrer beiden Kolleginnen, die selbstverständlich auch auf ihrem neuen Album zu hören sind (“Please Stay“ sowie “Going Going Gone“). Ihre Songs sind zurückhaltender. Nicht weniger emotional, aber introvertierter und irgendwie hat man das Gefühl, sie stehe mit einem Fuss immer etwas auf der Bremse. Nicht zu schnell nach vorne, nicht zu schnell nach oben. Und manchmal etwas zu lieblich – oder einfach zu bescheiden. „Home Video“ ist ruhig und tatsächlich auch etwas langweilig.
Ihre Musik trifft so weniger in die Mitte, die Songs holen ihre Punkte durch Worte, Empathie und einen roten Faden. Diesen hat sie auf dem autobiographischen “Home Video“ gefunden, nur verblasst das Rot auf Dauer ein wenig. Es bietet klassisches amerikanisches Storytelling, in einem etwas poppigeren Gewand als die beiden Vorgänger, aber auch in einem noch fokussierteren. Das Ziel ist definitiv nicht, im Windschatten von Bridgers und Baker an die Spitze zu gelangen. Das ist die grösste Leistung von „Home Video“: Lucy Dacus verliert nicht ihre Eigenständigkeit und geht ihren Weg konsequent weiter. Aber das mit dem Funken, das lässt sich allein damit nicht herbeiführen.
Gleich zu Beginn des Albums ist dies noch anders: „Hot & Heavy“ ist nicht nur dank berührend persönlichem Video ein perfekter Opener, bei dem im Geiste auch noch kurz The War On Drugs vorbeischauen. Nach diesem Hit aber muss man Zeit mitbringen und sich mit den Details befassen. In „Thumbs“ beschreibt sie ein Wiedersehen einer ihr nahestehenden Person mit deren Vater, der vor allem durch Abwesenheit glänzte und den die Songwriterin als Begleiterin des Treffens am liebsten umbringen würde. Das ist textlich grandios. Es ist aber auch ein Beispiel für das bereits Erwähnte, weil die Musik den Text nicht in derselben Weise zu transportieren vermag. Und so ergeht es „Home Video“ schliesslich wie vielen guten Platten: Es hinterlässt einzelne Spuren, aber hat nicht das Gewicht, als Ganzes abzusinken, um zu bleiben. Und so warten wir bei Lucy Dacus weiterhin auf den grossen Wurf, zu dem sie imstande ist, dem sie mit „Historian“ aber näherkam als mit „Home Video“.