Hummus Records / VÖ: 14. April 2017 / Lo-Fi, Rock, Folk
louisjucker.ch
Text: Mischa Castiglioni
Es ist die andere Welt, der man sich hingibt, eben L’Altro Mondo. Man taucht in 5 Welten ein, jede für sich und eben doch nicht. Es ist ein grosses Ganzes, das Louis Jucker aus La-Chaux-de-Fonds mit seinen Lovers und Friends geschaffen hat. Leise, zerbrechlich, sanft, verspielt, melancholisch, experimentell, mulitiinstrumental, rockig, laut, lärmig und voller Kraft und Gewalt. L’Altro Mondo ist ein Projekt voller Hingabe, das bei der Musik anfängt und bei der wunderschön verpackten 5-Fach-LP aufhört, alles selbst in stundenlanger Arbeit gedruckt, geklebt, verpackt …
Die fünf mal acht Songs, die zwischen 2012 und 2016 entstanden und nun auf Langspielplatte gepresst wurden, waren in der Entstehung ein intensives Projekt, das seine Zeit brauchte. Zeit, die auch der Hörer braucht. Es ist keine Nebenbeimusik, die man mit L’Altro Mondo vorgesetzt bekommt, kein Hintergrundsoundtrack für schnell mal zwischendurch. Man muss die Platte auflegen, sich hinsetzen, sich hingeben, hinhören und eintauchen. Dazu erzählen die Bilder auf der Rückseite des jeweiligen Sleeves zu jeder der fünf Aufnahmen eine Geschichte. Ja, manchmal glaubt man sogar die Hintergrundgeräusche zu hören, die am Ort der Fotografie gewesen sein könnten. Vögel, das Meer, knarzende Dielen, der Wind …
L’Altro Mondo ist nicht immer einfach. Es eckt an, es ist kantig, und ja, in der hochproduzierten Musikwelt von heute erschrickt man. Denn die Aufnahmen bewegen sich irgendwo zwischen Kasettenrecorder (bei „The Dead Radio“), Mobiltelefon, Diktaphon und 4 Track Tape … Wahrscheinlich würde man das bei den allermeisten Bands auf dieser Welt nicht so durchgehen lassen, aber hier: Wenn es nicht so wäre, dann wäre es falsch, dann wäre es nicht L’Altro Mondo! Es gehört so, und es ist genau richtig so.
1/5 Gravel
Die Landung eines UFOs, ein treibender Beat. Und dann die wunderschönen Gitarren und der Einsatz der Stimme, die den Start in L’Altro Mondo in etwas ganz anderes verwandeln als das, was man nach den ersten Takten erwartet hat … Ein Gefühl, auf das man sich sowieso gleich mal einstellen darf, wenn man am Beginn dieses Mammutwerkes steht. „Steady Reelers“, ein wunderschönes Instrumentalstück mit noch viel schöneren Gitarren, wird unsanft durch „Intercessor Rex“ abgelöst, welches verzerrter nicht sein könnte – ohne hart und überbordend zu sein. Louis Jucker (Voc, Keys, Guitar, Beats u.a.), Charlie Bernath (Dobro, Guit, Voc) und Myriam Chollet (Voc) schaffen es trotz oder eben gerade mit viel Noise, eine wunderschön warme und wohlige Atmosphäre zu schaffen. Songs, bei denen man mitsummen will. Songs, bei denen man mitsummen muss. Ohne zu wissen, was als nächstes kommen wird.
2/5 Autisti
Braucht es noch Worte? Über „Autisti“ wurde schon einiges berichtet und geschrieben. Autisti sind, auch weil sie als Band unterwegs und langsam aber sicher in aller Munde sind, der sichtbare, der wahrnehmbare, der laute, der unüberhörbare Teil von L’Altro Mondo. Und kann wohl als dessen Herzstück, dessen Mittelpunkt, dessen Bergspitze bezeichnet werden. Was Louis Jucker (Voc, Guit), Emilie Zoé (Voc, Guit, Orgel) und Steven Doutaz (Drums) auftischen ist laut, rockig, roh, noisig, lo-fi, voller verzerrter Gitarren und voller Energie. Ausufernd und über die Stränge schlagend. Spätestens beim Auflegen dieser Platte muss der Lautstärkeregler hochgedreht werden. Keine Rücksicht auf die Nachbarn, sorry! Wenn man auf verzerrte Gitarren steht (aber nicht nur dann), ist „Autisti“ wahrscheinlich der zugänglichste Teil von L’Altro Mondo. Das gehört so. Das ist gut so. Und man will mehr davon. Definitiv!
3/5 The Dead Radio
Was Marylène Furrer (Voc, Guit, Radio, Ukulele u.a.) und Louis Jucker (Voc, Guit, Harmonium, Piano u.a.) mit „The Dead Radio“ gezaubert haben, ist wunderbarer Minimalismus, Melodien, die eindringen und bleiben. Da, ein Lied, über das man schon beim ersten Mal und immer wieder stolpert, wenn man mit geschlossenen Augen den Klängen lauscht. Fragil, zerbrechlich und wunderschön. Ich musste einfach die Augen öffnen und die Rillen zählen: „Daysleepers“. Nur um einen wieder aus diesen anderen Sphären zu holen, fängt die minimale Stromgitarre, die bezüglich der Verzerrung nur noch vom Gesang übertroffen wird, an zu rauschen, um nach nicht einmal zwei Minuten von einer Orgel und einem lieblichen Gesang abgelöst zu werden. Man sitzt da und wird überrascht. Bei jedem Song, mit jedem Song.
4/5 Peppone
Bei Peppone tauchen schon zu Beginn und immer wieder elektronische Klänge auf, die den Rhythmus übernehmen und Erinnerungen an die Computergames unserer frühen Jugend aufkommen lassen. Alles gepaart mit akustischen Gitarren und eingängigen Gesangslinien. Programmierte Vintage-Gerätchen und Geräusche übernehmen, um alsbald von der Stromgitarre überrumpelt zu werden … „Absentee“ kommt schon fast als klassischer Rocksong daher und wird gerne auch mal von Autisti bei Live-Auftritten zum Besten gegeben. Einfach geradeaus. Voll auf die Ohren. Zum Mithüpfen, Mittanzen und Mitsingen! Genau so. Philippe Henchoz (Voc, Guit, Drums u.a.), im Duo mit Louis (Voc, Guit, Casio Beats, Keys u.a.) haben hier, zusammen mit Autisti, sicher einen der eingängigsten Teile von L’Altro Mondo geschaffen.
5/5 Navette
Navette entführt direkt in den Weltraum, oder zumindest in eine sehr ferne Welt. „Lunatics“ ist eines der Lieder, das mit glockigen Klängen, einem sanften Gesang und ein paar Geräuschen den Zuhörer wegträgt. Die Songs sind sehr reduziert, die tragenden Melodien sind unglaublich fragil, lösen sich auf, formieren sich neu oder werden durch rhythmische Maschinengeräusche übertönt, manchmal sogar ganz unsanft zermalmt. Io Baur (Voc, Guit, Keys u.a.) und Louis Jucker (Voc, Keys, Ukulele u.a.) lassen auf Navette Träumereien entstehen. Und man wünscht sich, sie würden ewig dauern.
L’Altro Mondo braucht Zeit. Wenn man sich die Zeit nimmt, entdeckt man wundervolles. Man entdeckt fünf Welten, die doch eine sind. Go for it, looooos! 40 Songs für eigentlich kein Geld und gerne etwas mehr. Es lohnt sich, es ist ein wunderschönes Stück Musik!