Tourbo Music / VÖ: 14. April 2023 / Klassik, Folk
lakikomusic.com
Text: David Spring
Die meisten von uns empfinden Spital-Besuche als eher unangenehm, wenn nicht geradezu furchteinflössend. Und doch entstand die faszinierende Musik der bosnischen Künstlerin Lakiko genau da. Nicht bei einem lebensbedrohenden Eingriff, sondern unter wissenschaftlichen Umständen. Lana Kostic, so ihr eigentlicher Name, ist eine renommierte Cellistin, die von ihrer Heimat in Bosnien über Umwege in die Schweiz fand, und sich da dann in der Neurologieabteilung in Biel einem Elektroenzephalogramm unterzog, um ihre Hirnströme schlussendlich als Partitur zu verwenden. Das beeindruckende Resultat präsentiert sie uns nun in Form ihres Solo-Albums «What To Do, How To Live?»
Wie man sich unschwer denken kann, ist es keine leichte Kost. Ein derart wortwörtlich zerebrales Vorgehen ist kein einfaches Unterfangen. Nimmt man Lakikos bewegte Vergangenheit dazu, angefangen bei ihrer Kindheit in der Nachkriegszeit Sarajevos über ihre Flucht durch Europa bis hin zu ihrer gefeierten Karriere als Cellistin, fasziniert die Musik, die sie kreiert, umso mehr. Die Lieder sind mehrheitlich in ihrer Muttersprache gehalten, nur vereinzelt greift sie auf Englisch zurück. Den Start macht «Tobogan», ein melancholisches Cello-Werk, auf dem Lakiko auch schnell zur Schau stellt, dass neben ihren Saiten-Künsten auch ihre Stimme ein vorzügliches Instrument ist.
Die Musik baut auf bosnischem Folk auf, vermischt mit viel Klassik und immer wieder erkennbaren Pop-Elementen. Denn so düster und melancholisch die Stücke sind, so unverkennbar ist Lakikos Gespür für eingängige Melodien und fantastische Harmonien. Inhaltlich ist sie nicht minder schwergeweichtig, als musikalisch. Die Themen reichen von feministischen Statements wie «Testosterone» und «The Woman Is Stronger Than The Man In Me» über kulturelle und religiöse Themen («Ovce», «Nije Budućnost Za Svakoga») bis hin zum globalen, tagespolitischen Geschehen. Bestes, und mit Abstand traumatischstes Beispiel ist das Lied «I Lost My Baby In The Sea». Mit originalen Tonaufnahmen einer Flüchtlingsmutter, die ihr Baby auf hoher See verlor, sowie der erdrückend gewaltigen Instrumentierung geht das Stück schmerzlich unter die Haut.
Es fällt nicht leicht, die Musik und das Gesamtkunstwerk Lakikos in Worte zu fassen. Was diese Ausnahmekünstlerin hier geschaffen hat, ist wahrlich beeindruckend. Trotz der wunderschönen Cello-Melodien und den sich schier endlos wiederholenden Glissandi-Loops ist es kein einfaches Album. Genau deswegen muss «What To Do, How To Live?” unbedingt gehört werden. Das Leben ist nicht einfach, und gerade hier im Westen sollten wir uns unserer Privilegien ab und zu wieder bewusstwerden. Die tiefschürfende, fantastische Musik von Lakiko ist dafür wie geschaffen.