Band: Jarle Skavhellen
Album: Beech Street
Genre: Singer-Songwriter / Folk / Americana
Label: Nettwerk
VÖ: 8. Januar 2021
Webseite: jarleskavhellen.com
„Das bin ich“ – das Statement, das der norwegische Singer-Songwriter Jarle Skavhellen im Medientext zu seinem Zweitling „Beech Street“ stellt, ist gross und bedeutsam. Viele Künstler suchen ein Leben lang nach ihrem eigenen Sound. Skavhellen funktioniert da als erfrischendes Gegenstück zur rastlosen Suche nach Perfektion – und „Beech Street“ ist das ideale Exempel dafür. Es lebt von zwei Stärken: Einem Gefühl der Zufriedenheit. Und einer subtil kultivierten Unvollkommenheit.
Der Norweger zupft sich im Intro des Openers „Drive“ plätschernd ins Album rein, lässt nach einigen Takten ein paar akustische Piano-Töne ins Rinnsal tropfen, bevor er ein völlig unstimmig phlegmatisches Synthpad wie einen dreckigen Lappen über das idyllische Klangbild wirft. Unvollkommenheit eben.
In „Just Not Ready To Let Go“ greift er zu einem anderen Mittel, um sein Konzept zu zementieren. Das gemütliche Geplätscher – ein Motiv, das in den meisten Songs wiederkehrt – bricht er hier mit einer instrumentalen Bridge gegen Ende des Songs. In einem Moment hängt man noch der zweistimmig geflüsterten Hookline des Songs, untermalt von gezupfter akustischer Gitarre und Banjo, nach. Im nächsten bolzt der Norweger ein fettes E-Gitarren-Riff dazwischen; aber nur für wenige Takte. Und schon geht’s zurück in den ursprünglichen Gemütszustand des zufriedenen Geplätschers.
Und dann kommt „Beech Street“ – der Titeltrack und der grösste Spinner in der vorliegenden Songsammlung. Er dauert kaum länger als eine Minute, besteht aus einem einzigen Akkord und herzlich wenig Sinn. Ein bisschen Snare-Geratter auf dem Schlagzeug, ein im Offbeat gezupfter akustischer Gitarrenakkord, ein herumzwirbelnder Bass und ein Geistersynth. Völlig beliebig.
Doch die unvollkommene Beliebigkeit ist nur eine Seite von Jarle Skavhellens jüngstem Werk. Denn es gibt als Gegenstück zu den Seltsamkeiten und zum Unvollkommenen auch diverse Songs, die Skavhellen in stringenter Schönheit belässt, denen er Brüche erspart. Sei es das schwebende «Northern Light», über dessen nebliges Synthpad er glimmende elektrische – und akustische Gitarrenzupfereien streut und so träumerisch dem nordischen Naturphänomen huldigt. Oder das verwunschene „Lion“, in dem er Klänge von Piano und verschiedenen Gitarren wie Glühwürmchen durchs Lied tanzen lässt.
Das Schöne und das Gebrochene vermengt Jarle Skavhellen bewusst inkonsequent auf dem Album, denn das ist seine aktuelle Lebenserkenntnis: Ein Leben ohne Brüche ist langweilig und wohl auch unrealistisch; Schönheit darf man auch einfach mal schön sein lassen. An der „Beech Street“ findet man Unvollkommenheit und Schönheit Seite an Seite. Lässt man sich darauf ein, muss man sich nicht wundern, wenn man das Leben nach dem Hören des Albums mit einem zufriedeneren Blick betrachtet. Zumindest für eine Weile.
Tracklist:
1. Drive
2. Lion
3. Winnebago
4. Just Not Ready To Let Go
5. Beech Street
6. Home By 5
7. Montana
8. Crash & Run
9. Northern Lights
10. 20 Fathoms Deep
11. Back To Being Strangers
12. Anyway / Anyhow
Bandmitglieder:
Jarle Skavhellen – Gesang und Gitarre
Gründung:
2016
Text: David Kilchör