V2 Records / VÖ: 14. April 2023 / Soul, Pop
iamjakeisaac.com
Text: Patricia Leuchtenberger
Auch nach Jahrzehnten verliert der Soul nicht an Popularität: Ob in den 60er-Jahren von Ray Charles und Nina Simone, den frühen 2000er von Amy Winehouse und Ms. Lauryn Hill oder im hier und jetzt von Adele und Leon Bridges – es ist die Musik, die bedeutend dazu beigetragen hat, dass sich das westliche Pop- und Hip-Hop-Genre herausbilden konnten. Heute unter dem Begriff Neo-Soul zusammengefasst, ist der Einfluss in alle Sparten unüberhörbar. Auch die junge und eklektische Künstler-Generation, zu der Tyler, the Creator, Arlo Parks oder Jorja Smith gehört, bringt heute die traditionell afroamerikanische Musik unter die Jugend. Während die Neo-Soul-Szene diesen vor allem mit RnB kombinieren, gibt es bedeutend weniger Musiker, die das Vorgänger-Genre mit dem elektrisch-geprägten Pop verschmelzen.
Einer davon ist Jake Isaac. Der Londoner bricht mit seinem dritten Studioalbum „For When It Hurts“ nicht nur musikalisch die Grenzen der Pop-Musik auf und setzt sie in einen stimmigen Kontext mit ihrer musikhistorischen Vergangenheit. Er konfrontiert auch textlich altbackene männliche Stereotypen, unter den er leidet und plädiert zudem dafür, inmitten des Dschungel’s von gesellschaftlichen Normen zu sich selbst zu finden. Sein Resümee: Macht hat nur der, der sie in erster Linie über sich selbst hat – und der ohne Scham lieben kann.
Die ästhetisch psychedelische Aufmachung des Artworks deutet zwar eine gewisse emotionale Orientierungslosigkeit an, sollte aber nicht über den Sound der Platte hinweg täuschen: Jake Isaac formuliert auf jeder Ebene seine Ängste, Forderungen und Heilungsansätze klar und untermalt sie zudem mit einem energetischen, rauen Gesang. Im ersten Track „How Are You? No Really“ spricht er zuerst an, was für ihn „Männlichkeit“ bedeutet: „It’s easier to go to war than to go to the alter, it’s easier to lead an army than to pour out your soul like water“. Dabei lässt er Religiosität, die im Soul eine große Rolle spielt, viel Raum, eröffnet gleichzeitig aber auch eine Debatte über Macht- und Gewaltverhältnisse. Denn was heißt es wirklich stark zu sein? Diese Frage beantwortet der Künstler mit einem Wort: Liebe.
In „Start Again“ überzeugt Isaac danach mit dem Versuch, Emotionalität im Sinne von Liebe zuzulassen und wird von einem dynamisch-aufrüttelnden Instrumental begleitet. Vor allem die Gitarre wird mit eingehenden Melodien ein starker Begleiter in den zehn Songs, die dadurch zwar alle relativ ähnlich klingen, aber an Dringlichkeit nicht verlieren.
Weitere Tracks wie „When It Hurts“, „Still Have You“ oder „To Be Loved“ stehen für sich alleine, ohne sich in der Message zu wiederholen – Jake Isaac’s warme, dennoch nachdenkliche Stimme lassen die Platte wie im Nichts vergehen. „Remedy“, ähnlich anstachelnd wie „Start Again“, spricht zum Ende hin eine Seite an, die thematisch noch etwas zu kurz kam. Denn: Was macht man, wenn man sich zu einem persönlichen Neuanfang entscheidet?
Was macht man, nachdem man sich dazu entscheidet, jemand anderes, jemand reiferes zu werden? Was macht man mit den ganzen Fehlern, den Schmerzen, die man sich selbst und anderen angetan hat? Wie arbeitet man sie auf, um unbeirrt seinen neuen Weg gehen zu können? Abhilfe schafft Jake Isaac bis zuletzt nicht: Am Ende kommt das Album wieder mit einer Sprech-Sequenz in dem Garten seiner Mutter zum Abschluss. „Where there is love, there’s still hope“ verkündet Isaac monoton; vielleicht bekommen wir bei der nächsten Platte dann eine Anleitung dazu.