Sony Masterworks / VÖ: 23. August 2019 / Ambient, Post-Rock
hugar.is
Text: Sebastian Leiggener
Gibt es sie noch – diese Zwischenwelten? Dort wo es nicht schwarz/weiss, kalt oder heiss ist? Dort wo der sprichwörtliche Tunnelblick endet und sich öffnet, in Sphären die nicht in Worten beschrieben werden können? In der Musik gibt es sie und in diesem Album habe ich die Zwischenwelten einmal mehr gefunden. Liebhaber von Sigur Ros, Ólafur Arnalds und Jóhann Jóhannsson aufgepasst, dies sind die Zwischentöne die eure Lieblinge ausmachen in Reinkultur.
Als moderne Klassik bezeichne ich das Album „Varða“, des isländischen Multiinstrumentalisten-Duos Hugar. Die äusserst klassische Orchestration erfährt ihre Moderne durch sanfte Ambient-Parts, elektronischen Teilchen und der schüchternen Magie eines dezenten Post-Rock. Verfeinert wird das Ganze durch sanfte Bläserelemente und Streicherflächen. Es überspannt sich so ein Teppich von unflätiger Zärtlichkeit, allein getragen durch die instrumentalen Klanglandschaften. Kein Gesang – kein Statement – kein Argument. Allein die stille Fülle an Schall. Was „Varða“ ausmacht ist nicht das „Eine“ Stück. Durch die vielen und das ist eine ungeahnte Eigenheit des Albums, recht kurzen Tracks, verbandelt sich in der Gesamtheit eine sonderbare, variable Fülle an flüchtigen Genüssen. Meist rührend einfach und in der Intensität gewaltig einsam. Zart und zerbrechlich schweben die Songs hindurch und durchbohren ohne zu zerstören.
Doch lässt sich dieser Aufbau eben nicht in Kürze erahnen sondern benötigt genügend Zeit und Raum um in seiner Gesamtheit zu wirken. Es ist denn auch unabdingbar, sich diese Zeit zu nehmen. „Varða“ ist ein Album das nicht nebenbei schnell verschlungen werden kann. Es benötigt Geborgenheit und eine Atmosphäre die entgegen der Endlichkeit kein Ende kennt. Es benötigt die Bereitschaft des hingebungsvollen Zuhörens und der vollen Aufmerksamkeit. Lässt man sich nicht darauf ein ist es reine Verschwendung. Tut man es, ist es Vollendung.
Im Isländischen bezeichnet Varða kleine Steintürmchen, die als Wegemarkierungen für Reisende aufgeschichtet werden, da man sich aufgrund der langen Tage nicht an den Sternen orientieren kann. Doch wenn man dem Album und seinen Gedanken während des Hörens genügend Raum lässt, so stellt sich die Frage, welche Richtung denn gemeint ist. Sind die Türmchen nicht breit verankert in der Erde und gen oben hin, wie Pfeile, zart und spitz in der Öffnung zum Himmel – hin zum Nichts? Vielleicht ist es eben jene Orientierung die sie weisen. Weg, nicht in der gewohnten Zweidimensionalität unseres dezimierten Horinzonts, denn vielmehr hin zum Offenen, zum Unerfahrenen. „Varða“ lässt in seiner Kargheit studieren, träumen und Intensität erleben die bis hin zu den Sternen reicht, welche auch dann da sind wenn die Helligkeit den Schein verdrängt. Ausatmen und bereit sein genügend Zeit zu verstreichen um im Klangbecken still zu begreifen.