Partisan Records / VÖ: 30. Juni 2023 / Singer-Songwriter
grianchatten.com
Text: Michael Messerli
Grian Chatten nimmt uns mit in eine Kleinstadt am Meer. Er zeigt uns die Promenade, stellt uns die Personen vor, die dort leben, und besucht sie in ihrem Zuhause. Er schreibt das Drehbuch oder die Theaterszenen – aber eigentlich komponiert er die Filmmusik dazu. Die Charaktere und ihre Geschichten dahinter, sie verdeutlichen, dass man beim Frontmann von Fontaines D.C. eher mit einem Buch oder Gedichtband als mit einem Singer-Songwriter-Album gerechnet hatte. Aber «Chaos For The Fly» erweist sich als buntes Spielbrett jenseits von Bandkompromissen, zeigt die Figur darauf als versierten Musiker und ja, auch als Sänger. Wenn man das energiegeladene Debüt von Chattens Hauptband hört, erstaunt es, wie seine Stimme nun diese Songs zu tragen vermag. Er war schon damals ein Ereignis. Aber nicht unbedingt wegen seinem Gesang, sondern wegen seiner Performance.
Mittlerweile hat er aber seine Singstimme gefunden und setzt sie entsprechend selbstbewusst ein («East Coast Bed»). So sieht er nicht nur aus wie ein romantischer Herzensbrecher mit Hundeblick, sondern klingt auch wie einer – und wer ihm da nicht schon bereits erlegen ist, den schubst sein irischer Akzent endgültig auf das richtige Feld. Und das ist nicht Feld eins. Nach drei Fontaines-Alben in vier Jahren droht natürlich der Overkill, wenn Grian Chatten dazwischen auch noch solo seine grandiosen Texte vorträgt. Das grosse Kompliment, das man ihm und seinen vier Kollegen an dieser Stelle machen kann: Sie bleiben entwicklungsfähig – und das legitimiert letztlich auch diesen Schritt.
Auf «Chaos For The Fly» traut sich Chatten einiges zu. Er reizt sein Repertoire bis hin zu «Bob’s Casino» aus. Beschwingt, aus einer anderen Zeit und von einem anderen Ort. Das hat nichts mehr mit Fontaines D.C. zu tun. Und hat eigentlich jemand Conor Oberst auf dem Rummelplatz gesehen? Gut möglich, dass er mit Phoebe Bridgers auf dem Riesenrad sitzt und sich zu «All Of The People» betrinkt. Streicher, Bläser und schummriges Licht. Guy Garvey macht dasselbe alleine in einer Bar zu «The Score». Schmuddelige Sitze und abgehalftertes Interieur – inklusive der Gäste. Aber zum Schluss hin wird es verspielt und plötzlich ist es egal, wie es hier aussieht. Chattens Stimme wärmt wie Tee mit Honig, der sich um dein Maul schmiert.