Equal Vision Records / VÖ: 11. März 2022 / Pop Punk
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Text: David Spring
Mit dem unaufhaltbaren Vorwärtsmarsch auf die Smartphones einer ganzen Generation hat die Social-Media-Plattform TikTok unweigerlich Einzug in die Musikwelt gefunden. Das Revival von Emo-lastigem Pop-Punk kann man durchaus darauf zurückführen. Eine ganze Riege neuer Bands fand ein Publikum und viele Musiker:innen liessen sich durch die Beliebtheit zu ihren eigenen Projekten inspirieren.
Wie sehr dies auf Glacier Veins aus Portland zutrifft, weiss ich nicht. Dass die Band aber der jüngeren Social-Media-Generation entsprungen ist, wird schon bei den ersten Klängen klar. Freundlicher, melodiöser Gesang von einer sympathischen Sängerin? Haben wir! Mid-Tempo-Rocksongs mit viel Melodie und wenig Abwechslung? Auf jeden Fall. Ein Gitarrist, der soliert, wie ein kleiner Gott, sich aber kaum zurückhalten kann? Aber hallo!
Das zweite Album von Glacier Veins trägt den hübschen Titel „Lunar Reflection“. Die Songs sind allesamt professionell aufgenommen und vorgetragen, der Sound fett und glatt. Es sind viele coole Ideen dabei, „Cover Me“ zum Beispiel ist ein wirklich guter Song, die Message ist positiv und der Beat geht gut nach vorne. „Digging Myself Out“ und „Where Does It Go“ gehen sehr gut ab, eingängig und mit Anleihen an die melodiösen Momente von Billy Talent oder Press Club.
Doch ein Problem besteht: die Lead-Gitarre. Fast jedes der Stücke wird ad Nausea von Math-Rock-artigen Sweeps und Licks à la Polyphia unterlegt. Die sonst beachtlichen Skills des Gitarristen, die den Songs durchaus viel an Abwechslung bringen könnten, verschmelzen zu einem belanglosen Einheitsbrei. Der Gitarrist könnte sich zu einer kleinen Online-Sensation mausern, im sonst eher schüchternen Dream Punk der vier stört die Gitarrenwichserei leider mehr, als sie beeindruckt.
Das ist schade, denn im Grundsatz sind Glacier Veins gut. Die Stimme von Sängerin Malia Endres ist stark, die Rhythmusfraktion ebenfalls, und auch die Gitarre hat tolle Parts, wenn mal etwas Restriktion bewiesen wird. Am Ende ist „Lunar Reflection“ keinesfalls ein komplett schlechtes Album, aber mit den allesamt sehr ähnlich klingenden Stücken, den kaum variierenden Song-Strukturen und dem erwähnten „Gitarren-Problem“ müssen Glacier Veins für meinen Geschmack über die Bücher, um wirklich Grosses zu schaffen.