Potomak / VÖ: 5. April 2024 / Alien Pop Music
neubauten.org
Text: Cyril Schicker
Sie suchen nach neuen Formen. Nach dem unentdeckten Ton und dem noch unausgesprochenen Wort. Seit ihrer Gründung am 1. April 1980 verschieben sie die Parameter von Mainstream und Subkultur, um das Unhörbare hörbar zu machen. Und vielleicht auch das Unerhörte. Einstürzende Neubauten.
In ihrem 44. Bestehensjahr geht die Ausnahmeformation zurück zu ihren Wurzeln, um sich gleichzeitig neu zu definieren. Ein verändertes Selbstverständnis, für das das Berliner Quintett plus eins gleich ein eigenes Genre kreiert hat: APM – Alien Pop Music. Wer’s kann, der kann’s.
Will heissen: Aus lärmgewaltigen Kracheruptionen, auf kryptische, oftmals fragmentarische Lyrics treffend, haben Einstürzende Neubauten eine neue Kunstform geschaffen: populäre Musik für Aliens. Aus Anti-Pop ist Alien Pop geworden. Fremdartig. Kokonhaft versponnen. Ungehört. Sonus inauditus.
Ob Einstürzende Neubauten mit ihrem neuesten Doppelalbum’schen Notenschlüssel die Türen zu Hyperräumen, Interzonen, Zwischenwelten, Paralleluniversen oder Galaxien öffnen, das musst du für dich selbst entscheiden. Klar ist, die kultgeschwängerte Avantgarde-Institution betritt gekonnt – und einmal mehr – ihr selbstgeschaffenes stilistische Niemandsland.
15 Songs, 1 Doppelalbum – das ist Rampen. Rampen? Sänger und Aushängeschild Blixa Bargeld erklärt: „Wir haben immer improvisiert, auf der Bühne, früher noch mehr als heute, früher eigentlich nur – ganz früher. Später mit wachsendem Material und Song-Vorrat wurde es weniger, aber es blieb immer Bestandteil unserer Konzerte. Im Neubauten-Lingo wurden und werden diese Improvisationen vor Publikum „Rampen“ genannt, Rampe im Sinne von Abschussrampe.“
Seit Mitte der 1980er-Jahre experimentieren Einstürzenden Neubauten auf der Bühne mit ihren Rampen: Öffentliche Improvisationen mit offener Entwicklung und Ausgang; Abschussrampen ins noch Unerforschte, die die Band 2022 auf ihrer letzten „Alles in Allem“-Tournee im Zugabenteil performte und deren Mitschnitte als Basis für das neue Album dienen.
Wer Rampen hört, der irrt durch Klanglabyrinthe – der begibt sich auf akustische Klangforschung mit Blixa Bargelds Sprachkonventionen aushebelnder Poesie. Rampen ist mal filigran, mal brachial zwischen lieblich und lärmig, laut und leise, flüsternd und grollend, Harfe und Bohrhammer, Hammondorgel und Metallpercussions.
Die Neubauten sind auch nach über vier Jahrzehnten nicht eingestürzt. Im Gegenteil: Mit Rampen machen sich Einstürzende Neubauten unkapputbar.