Datum: 15. September 2011
Geschrieben von: Nicole Imhof
Im Gespräch mit: Gesa Schwartz
Nachdem ich bereits beim ersten Band „Grim: Das Siegel des Feuers„, Feuer und Flamme für den dickköpfigen Gargoyle Grim war, bot auch der zweite Teil unterhaltsamsten Lesegenuss. Die deutsche Autorin „Gesa Schwartz“ hat mit dieser Geschichte das geschafft, was sich jeder Schriftsteller und jede Schriftstellerin wünscht, einen Erfolg. Und dies zu Recht. Denn die Geschichte ist gut aufgebaut und mit bildhafter Sprache erzählt und die Protagonisten sind einfach zum lieb gewinnen. Für mich die Lesestoff-Entdeckung aus 2010 mit dem nicht minder spannenden Folgeband „Grim: Das Erbe des Lichts“ im 2011. Grund genug, um die Autorin selber zu Wort kommen zu lassen.
Nicole: Hallo Gesa. Du hast mit deinem ersten Buch GRIM gleich einen Bestseller gelandet. Wie fühlt sich das an, plötzlich Interviews zu geben und im Rampenlicht zu stehen?
Gesa: Das ist noch immer ein schönes und ziemlich unwirkliches Gefühl. Es freut mich sehr, dass GRIM so viele Menschen begeistern kann und sie genauso viel Freude beim Lesen empfinden wie ich beim Schreiben, und ich gebe gern Interviews, um den LeserInnen Fragen zu meinen Geschichten und meiner Person zu beantworten. Was das Rampenlicht betrifft, habe ich ja versucht, Grim zu überreden, die Fototermine an meiner Stelle wahrzunehmen – aber er wollte nicht. Sturkopf von einem Gargoyle.
Nicole: Seit wann schreibst du und wann war für die klar, dass du deine Arbeiten veröffentlichen willst?
Gesa: Ich erzähle Geschichten, seit ich denken kann, und wollte schon immer Schriftstellerin sein, ganz nach Lukas aus „Jim Knopf“ von Michael Ende: Ein richtiger Lokomotivführer will Lokomotivführer sein und sonst gar nichts. Dass dieser Weg für mich jedoch alles andere als leicht war, kann man auf meiner Homepage nachlesen (www.gesa-schwartz.de).
Nicole: War es schwierig, für Grim einen Verlag zu finden und hattest du evtl. bereits frühere Vorlagen, die es nicht zur Buchform geschafft haben?
Grim: Es war ein langer Weg für mich bis zur Veröffentlichung, und Grim ist auch nicht die erste Geschichte, die ich geschrieben habe. Ich muss sagen: Die größte Hürde war es für mich, die richtige Agentur zu finden. Als das geschafft war, ging alles recht schnell: GRIM wurde verschiedenen Verlagen angeboten, woraufhin es zur Auktion kam, bei der LYX schließlich den Zuschlag erhalten hat.
Nicole: Wieso ein Gargoyle als Hauptfigur, welche Bedeutung hat dieses Wesen für dich? Und ich muss zugeben, dass mich – als grosser Gargoyle-Fan – das Motiv des Gargoyles auf dem Cover interessiert und dazu bewogen hat, das Buch zu Bestellen.
Gesa: Das freut mich besonders, da es beinahe genau dieses Bild war, das eines Nachts in mir auftauchte und mich dazu brachte, Grims Geschichte zu erzählen. Ich sah eine dunkle, steinerne Gestalt mit gewaltigen Schwingen hoch über den Dächern von Paris. Als ich mich der Gestalt näherte, konnte ich ihr ins Gesicht schauen. Es war das Gesicht eines Gargoyles, eines Engels, eines Dämons – vielleicht von allem ein bisschen. Er sah mich mit seiner Narbe über dem rechten Auge an und nannte mir mit vorsichtigem Lächeln seinen Namen. So lernte ich Grim kennen, und von diesem Zeitpunkt an wusste ich, dass ich seine Geschichte erzählen wollte.
Da der Verlag mich sehr in den Entstehungsprozess der Gestaltung des Buches miteinbezogen hat, konnte ich eben dieses Bild vermitteln, und es freut mich sehr, dass meine Leser nun auf ähnliche Weise Zugang zu Grims Welt erhalten können wie ich.
Wie ich schon in anderen Interviews sagte, finde ich Gargoyles darüber hinaus schon immer faszinierend. Sie finden sich an unzähligen Kirchen und anderen Gebäuden, sie sind Teil unserer Kultur und unseres Lebens und doch fallen sie den wenigsten Menschen noch auf. Sie sind wie steinerne Schatten, deren Vergangenheit wir vergessen haben, die blass geworden sind, weil der Regen ihnen die kräftigen Farben, die mittelalterliche Exemplare noch trugen, abgewaschen hat und uns ihre einstige Bedeutung nicht mehr bewusst ist. Mitunter ist es sogar schwer, sie in der Fülle der Ornamente an gotischen Kathedralen überhaupt zu erkennen – und doch sind sie da und scheinen aus steinernen Augen die Menschen zu beobachten, die keinen Blick für sie übrig haben. Somit sind Gargoyles in ihrer Schattenhaftigkeit ein Sinnbild für die Existenz des Geheimnisvollen in unserem Alltag, das mich schon immer fasziniert hat.
Hinzu kommt noch eine gewisse Düsternis, ein Hauch des Unheimlichen und Bösen oder zumindest Ambivalenten, der in der Geschichte der Gargoyles begründet liegt. Die Funktion der Speier hatte besonders im Mittelalter ja hauptsächlich abwehrenden Charakter, was auch durch das Ausspeien des Wassers verdeutlicht wird: Nicht nur das Speien an sich, auch das fließende Wasser besaß nach mittelalterlichem Glauben die Kraft, das Böse zu vertreiben – zumal dann, wenn es sich um Regen, also „Himmelswasser“ handelte. Zahlreiche Wasserspeier wurden als Apotropaika, Dämonenabwehrer, dargestellt. Darüber hinaus zeichnen sich die meisten Wasserspeier durch eine Dämonisierung aus, um nach dem Grundsatz similia similibus curantur – Gleiches wird geheilt durch Gleiches – Dämonen durch ihr Spiegelbild zu vertreiben. Aus diesem Grund handelt es sich übrigens bei mittelalterlichen Speiern ausschließlich um Unikate: Durch die zahlreichen Variationen wurde gewährleistet, möglichst viele Dämonen in die Flucht zu schlagen.
Und noch heute personifizieren die Gargoyles für viele Menschen das Böse. An der Washington National Cathedral prangt zum Beispiel ein ganz besonderer Wasserspeier, nämlich der Kopf von Darth Vader. Im Rahmen eines Wasserspeier-Design-Wettbewerbs wurde er mit der Begründung vorgeschlagen, dass Darth Vader in der heutigen Zeit als Verkörperung des Bösen die ideale Besetzung für einen Wasserspeier wäre.
In GRIM verwischen die Grenzen zwischen Gut und Böse und der Begriff der Gargoyles beschränkt sich hier nicht auf Wasserspeier, sondern umfasst steinerne Figuren im Allgemeinen. Denn nicht nur Wasserspeier sind umgeben von einer Aura des Geheimnisvollen und Unnahbaren. Wer jemals den Apollo von Belvedere gesehen, den barberinischen Satyr im Schlaf berührt oder die Hand auf die steinernen Finger des Sterbenden Galliers gelegt hat, der spürt, dass unter der Haut dieser Statuen mehr liegen könnte als Stein. Dieses MEHR ist es ja, das die Phantasie begründet und die phantastische von der mimetischen Literatur unterscheidet. Und wenn man das einmal gefühlt hat, kann man nicht mehr über einen Friedhof gehen, ohne sich aus steinernen Augen beobachtet zu fühlen, oder unter der Nike von Samothrake stehen, ohne ein leichtes Flügelrauschen zu hören.
Nicole: Die Geschichte ist unheimlich faszinierend geschrieben. Man taucht förmlich in diese Zwischenwelt ein und verweilt gerne darin. Bist du eine Tagträumerin, die sich gerne in andere Welten oder Zeiten versetzt und wenn ja, wohin führt dich deine Reise am liebsten?
Gesa: Sagen wir es so: Ich begebe mich gern auf Reisen ins Unbekannte. Das können andere Welten, andere Zeiten, andere Gedanken sein, aber auch meine eigenen Abgründe, und natürlich liebe ich es, die Geschichten, die ich erlebe, auch zu erzählen. Träume sind dabei besonders wichtig für mich, denn sie sind der Beginn von Veränderungen – und die hat unsere Welt in meinen Augen dringend nötig. Allerdings geht es mir selten darum, aus der Welt zu fliehen, sondern sie im Gegenteil anders wahrzunehmen – zu fühlen, was die Wirklichkeit ist, ohne sie zu sehen, wie es in Grim heißt. Wenn ich eine Geschichte erzähle, begebe ich mich in ihre Welt, und jedes Mal kehre ich verwandelt in die Realität zurück. Das wünsche ich auch meinen Lesern: Dass sie in die Geschichten eintauchen und sich verzaubern lassen können, um dann verändert in die äußere Welt zurückzukehren und so vielleicht auch diese zu verwandeln.
Nicole: Wie wichtig war dir die Aufmachung des Buches und das Layout. Denn Grim ist ja in schönster Hardcover-Ausführung erschienen, mit einem wirklich ansprechenden Motiv und Gestaltung.
Gesa: Es freut mich sehr, dass Grim so hochwertig gestaltet wurde und dass es durch die enge Zusammenarbeit zwischen dem Verlag und mir möglich war, bis in letzte Feinheiten alles so auszuarbeiten, dass das Äußere zur Geschichte passt. Die Vignette beispielsweise, die den Kapiteln im zweiten Band vorangestellt wurde, ist nach dem Vorbild eines Ringes entstanden, den ich während des Schreibens trug und der eine Figur zeigt, die in der Geschichte eine entscheidende Rolle spielt. Ich mag diesen Gedanken: Sie hat mir beim Schreiben zugesehen, und nun beobachtet sie den Leser dabei, wie er die Geschichte verfolgt – und das alles mit geschlossenen Augen.
Nicole: Welches ist, nebst Grim, deine persönliche Lieblingsfigur aus den beiden Romanen?
Grim: Ich hatte jetzt gleich einen Namen auf den Lippen, aber ich werde ihn nicht nennen, einfach, weil es meinen anderen Figuren gegenüber ungerecht wäre. Ich mag ja jede einzelne von ihnen auf ihre Weise. Erschwerend hinzu kommt, dass ich, selbst wenn ich heute eine nennen könnte, morgen vielleicht schon eine andere hervorheben müsste. Denn die Figuren sind ja viel mehr als das, was ich von ihnen zeige. Michael Ende hat diesen Gedanken einmal in eine Frage gegossen, über die man lange nachdenken kann: Was tun die Figuren in einem Buch, wenn es gerade niemand liest?
Nicole: Und welche Bücher oder Filme gehören zu deinen Favoriten und inspirieren dich?
Grim: Oh, da gibt es definitiv zu viele, als dass ich sie alle nennen könnte. Eines meiner Lieblingsbücher ist „Wer die Nachtigall stört“ von Harper Lee, aber auch „Der Spiegel im Spiegel“ von Michael Ende, „V wie Vendetta“ von Alan Moore oder die Sandman-Reihe von Gaiman gehören dazu. Da Filme zu meinen großen Leidenschaften gehören, könnte ich die Liste da ebenfalls ins Unendliche treiben. Daher nenne ich einfach den Film, der mir als erstes in den Sinn kam und der mich nie langweilt, obwohl ich ihn schon sehr oft gesehen habe: „Harold and Maude“.
Nicole: Dann verlassen wir mal kurz die Welt der Bücher und gehen zur Musik über. Du scheinst auch ein Kind der Gothic-Szene zu sein. Ist das richtig und wenn ja, welche Musikstil-Richtung gefällt dir und welche Bands hörst du am liebsten?
Gesa: Ich bin mir nicht sicher, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit man zur Gothic-Szene gehört, aber einen gewissen Hang zur Düsternis kann und möchte ich nicht verhehlen. 😉 Was die Musik angeht: Da geht es mir jetzt ähnlich wie bei der Frage davor. Ich bin auf keine Richtung festgelegt, wobei man möglicherweise schon Tendenzen erkennen kann, wenn man einmal mit mir in meiner Ente von Hamburg nach München fährt und ich meinen mp3-Player anschließe. 😉 Ich mag sehr: Blind Guardian, Héroes del Silencio, Black Sabbath, Goran Bregovic, Konstantin Wecker, Lou Reed, Lacrimosa, Subway to Sally, Die Ärzte, Tori Amos, Nick Cave, Reinhard Mey, Stratovarius, Rammstein und auf jeden Fall David Bowie. Und Musicals. Beim Schreiben lasse ich mich manchmal von Soundtracks begleiten.
Nicole: Bist du oft an Konzerten oder Parties oder hörst du Musik vorallem zu Hause, während du am Schreiben bist?
Gesa: Sowohl als auch, wobei ich in letzter Zeit leider viel zu wenig dazu komme, mein Schreibexil zu verlassen. Grim und andere Projekte fordern ihren Raum und es ist ja leider so, dass es viel länger dauert, eine Geschichte zu schreiben, als sie zu lesen.
Nicole: Und wieder zurück zu Grim. War es schwer, den zweiten Band dazu zu schreiben oder stand der weitere Verlauf der Geschichte vielleicht in deinem Kopf schon fest?
Gesa: Ich bin sehr froh darüber, dass Grim II schon beinahe abgeschlossen war, als der Rummel um Grim I so richtig losging, sonst wäre ich vermutlich ziemlich blockiert gewesen. Es ist ja nicht immer leicht, das „Außen“ wegzusperren und sich ganz auf die Geschichte einzulassen. Aber je stärker ich in eine Geschichte eintauche, desto leichter fällt es mir dann.
Nicole: Wie sieht die Zukunft von Grim aus? Es heisst, dass ein Abschlussband in Arbeit ist. Worauf können wir gespannt sein und wird es wirklich das Ende der Grim-Erzählung sein?
Gesa: Das ist richtig, gerade arbeite ich an Grim III. Leider darf ich zu der Geschichte noch gar nichts verraten. Ob es danach mit Grim endgültig und für alle Zeit vorbei ist, kann ich jetzt noch nicht sagen. Da hat der mürrische Gargoyle ja auch noch ein Wörtchen mitzureden. 😉
Nicole: Und wie geht es mit Gesa Schwartz weiter? Wieviele andere Wesen und Geschichten schwirren noch in deinem Kopf herum, die nur darauf warten, auf Papier gebannt zu werden? Und was kannst du uns dazu schon verraten?
Gesa: In meinem Kopf geistern sehr viele Ideen für Geschichten herum und eine davon hat sich auch schon zu einer Geschichte entfaltet: Auf der Frankfurter Buchmesse werde ich den Auftakt meiner neuen Reihe vorstellen, der im Oktober erscheint: „Die Chroniken der Schattenwelt. NEPHILIM“. Die Geschichte handelt, wie der Titel unschwer erahnen lässt, von Engeln, Dämonen und anderen Kräften, die wir für gewöhnlich nicht in unserer Realität vermuten würden.
Nando, mein junger Protagonist, der in Rom bei seiner Tante lebt, ahnt von ihnen zunächst ebenfalls nichts – bis eines Tages merkwürdige Veränderungen mit ihm vorgehen. Er entwickelt plötzlich übermenschliche Fähigkeiten und wird von einem gefährlichen Schattenwesen verfolgt, das ihm nach dem Leben trachtet. Nur um Haaresbreite kommt Nando mit heiler Haut davon und macht eine unglaubliche Entdeckung: Er ist ein Nephilim, und damit nicht genug: Er ist der Sohn des Teufels. Luzifer will sich Nandos Kräfte zunutze machen, um die Tore zur Hölle zu öffnen und sich zum Herrscher über die Welt der Menschen aufzuschwingen. Um dieses Schicksal abzuwenden und sein Leben zu retten, hat Nando nur eine Chance: Er muss sich der Finsternis stellen.
Nicole: Ich danke dir vielmals für dieses Interview und die Erschaffung von Grim. 🙂 Ich wünsche dir alles Gute für deine Zukunft und freue mich auf weitere Bücher von dir.
Gesa: Ich bedanke mich für die spannenden Fragen. 🙂