Edition W / ISBN: 978-3-949671-14-2
Autor: Dirk Bernemann
Text: Cyril Schicker
Dirk Bernemann (u.a. „Ich habe die Unschuld kotzen sehen“, „Asoziales Wohnen“) verleiht mit seinem neusten Roman „Kalk“ Unspektakulärem Spektakuläres. Im Zentrum steht der Mittfünziger Kalk – ein von der Lethargie gefangener Antiheld, der dank unerwarteter Dramaturgie zum Held mutiert. 200 und 1 Seite lang nimmst du am Leben Kalks teil und tauchst dabei ab ins Wechselbad der Gefühle.
Kalk ringt dir Mitleid ab, nur um dann befremdlich zu wirken. Der (Anti-) Held wächst über sich hinaus, nur um dann so weit zu gehen, bis ihm sein neues Ich vollends entgleitet. Der aschfahle Normalo findet ein ganz neues Selbstbewusstsein und rettet dabei mehrere Leben, nur um kurz danach fahrlässig zu töten.
Das Psychogramm des in die Enge getriebenen, weissen Mannes ist ausgeschmückt mit Kotze am Ärmel, Frikandeln, Strandurlaub in Holland, Tischtennis, Ehebruch, einer Forelle, viel Elektrogeräten und noch ganz viel mehr bezaubernden Sätzen.
Zum Beispiel:
Die eingeschweisste Forelle schweigt zurückhaltend und Kalk wünscht ihr Glück… Die Forelle beisst sich mit ihrem offen stehenden Mund und den aufgerissenen Augen in seinem Bewusstsein fest. Er nimmt stattdessen Fischstäbchen mit.
Lange hat er überlegt, wie gross die Entfernung zwischen hier und dort sein müsste, nur um das Hier zu vergessen, gegen das Dort einzutauschen, und sich am Dort vom Hier ablenken zu können.
Die Folge dieser Beschwerdewolke is ein unendlicher Scheisseregen, der anschliessend auf alle niedergeht, die am gegenseitigen Beschwerdeprozess beteiligt waren.
Dabei macht sie ein Gesicht wie eine über einem Feuerzeug geschmolzene Barbiepuppe.
Mit „Kalk“ hat Dirk Bernemann ein kurzweiliges Lesevergnügen geschaffen – mit, leider, 200 und 1 Seite zu wenig. Vielleicht aber lese ich „Kalk“ einfach ein zweites Mal.