Glitterhouse Records / VÖ: 7. Oktober 2022 / Noise Rock, Post-Punk
Facebook
Text: Patricia Leuchtenberger
Nach vier Jahren ist es endlich wieder soweit: nach dem längst überfälligen Durchbruch mit ihrem letzten und fünften Studioalbum „Fake“ markieren Die Nerven mit ihrem selbstbetitelten schwarzen Album ihre neue Ära. „Die Nerven“ klingt klar im Sound, monströs in den Instrumentals sowie in der Textualität wage, aber selbstbewusster denn je.
Jeder der zehn Songs wirkt unverbraucht, wie grundlegend neu erschaffen, und obwohl einem jeden Rock-Liebhaber sämtliche Riffe und Melodien bekannt vorkommen könnten, erhebt die authentische Art, die Max Rieger, Julian Knoth und Kevin Kuhn in ihren gesellschaftskritischen Texten an den Tag legen, ihre gesamte Diskografie mitsamt „Die Nerven“ über andere deutschsprachige Rockbands. Anstatt satirische Plattitüden ins Mikro zu schreien, die man irgendwann mal auf Social Media bei aufklärenden Content-Creatoren gehört hat, halten sich Die Nerven hierbei vielleicht sogar noch unklarer als sonst. Während „Ich dachte, in Europa stirbt man nie“ in „Europa“ gesungen wird, heißt es im darauffolgenden „Ich sterbe jeden Tag in Deutschland“ genau das. Also worauf will man (schon bei den Anfangstracks des Albums) hinaus?
In den zehn Titeln muss man so einiges aus- und umgraben, um die Kritiken, welche das gesamtgesellschaftliche Spektrum im Jahre 2022 abdecken, erspähen zu können. Zwischen Konsum und Kapitalismus sowie dem überall gegenwärtigen Narzissmus auf Social Media folgen Die Nerven einem einheitlichen und wirksamen Soundkonzept. Die Melodien schwanken den Texten angepasst zwischen rauschend dissonant und harmonisch, aber auch die Dynamik wird überlegt eingesetzt: eine Art apokalyptische Stimmung wird mithilfe der großgeschriebenen Songtitel, die einen wortwörtlich anschreien, und vielen Wechseln von ständigen Ausbrechen der Drums und Gitarren über in ruhige und gediegene Strukturen mit Gitarren und Streichern vermittelt.
Dass er Stücke klimaktisch komponieren kann, sodass eine solche Klangkulisse den Hörer zu Übermannen droht, hat Max Rieger als Produzent schon bei diversen Künstlern, zuletzt bei Caspers„Alles war schön und nichts tat weh“ bewiesen, wo er den aufbauenden Instrumentenwall ganz ähnlich kuratierte. Über „Die Nerven“ sagt Rieger, dass es das Ziel war, ein Album zu machen, welches auch auf Zimmerlautstärke die Wände zum Beben bringt. Ich habe selber keine bessere Formulierung, um dieses Album zu beschreiben. Obwohl viele Songs weit vor den aktuellen Krisen der westeuropäischen Welt eingespielt wurden, ist dieses Album erstaunlich gegenwärtig in dessen Thematik und konfrontiert wohl überlegt und kompromisslos. Nur zehn Tracks der zwanzig zur Auswahl stehenden hat es auf die Platte geschafft; vielleicht müssen wir diesmal nicht ganz so lange auf einen Nachfolger hoffen. Und bis dahin ist dieses hier auf Dauerschleife.