4. Oktober 2019
Dachstock – Bern
Bands: Die Goldenen Zitronen / Göldin & Bit-Tuner
Mit etwas gemischten Gefühlen machte ich mich am Freitag, den 4. Oktober, auf den Weg Richtung Dachstock in Bern. Heute sollte ich in der Tat die legendären Goldenen Zitronen aus Hamburg zum ersten Mal live erleben. Die Band war mir seit jeher ein Begriff, den ich aus den Anfangstagen meiner Deutschpunk-Zeit im Teenager-Alter kannte, allerdings wurde mir erst vor wenigen Tagen bewusst, wie wenig die Musik der Goldies mit Punk zu tun hat. Keine Ahnung, wie das all die Jahre an mir vorbei ging, entsprechend wusste ich nicht im Geringsten, was mich hier erwarten sollte.
Angekommen im schon nicht schlecht gefüllten Dachstock der Reitschule dachte ich erst, dass sich meine Befürchtungen bewahrheiten würden, denn erstmal gab es Musik, die mir normalerweise gar nicht behagt: Göldin & Bit-Tuner kamen auf die Bühne und kündigten sich selbst mit den Worten „ihr seid jetzt auf einem Rave“ an. Darauf folgten ziemlich schwer verdaubare Beats von Bit-Tuner, der in seinem Wollpullover und mit Schal wie ein Besessener hinter seinem DJ-Pult abging, während Göldin, bewaffnet mit Karo-Hemd und labbrigen Jeans, mit verschränkten Armen daneben stand und monotone, sich stetig wiederholende Sprechgesänge von sich gab. Das war schon sehr bizarr, aber dennoch merkte ich irgendwann, dass ich auch anfing, mich dazu zu bewegen. Ich warf dann mal einen Blick in die Runde, was um mich herum so geschieht und durfte feststellen, dass ich hier auf einem ganz anderen Planeten angekommen war. Die Leute bewegten sich wie in Ekstase, halt so, so denke ich, wie man das auf einem Rave macht. Das war schon nur so komisch anzusehen, dass ich gar nicht umhin konnte, mich auch darauf einzulassen. Man wagt ja so selten etwas Neues. Also Augen zu und die dröhnenden Bässe und beängstigend komischen Worte dieser beiden Herren auf mich einwirken lassen. Siehe da, das wirkte. Plötzlich fühlte ich mich in die Welt von Göldin & Bit-Tuner hereingezogen, die lakonische, passive Vortragsweise der aberwitzigen Texte von Göldin (nur ein Beispiel: „Autobahn, Geisterfahrer, haubi drü am Morge“ gefühlte 200-mal wiederholt, bis die Auflösung irgendwann mit „4i am Morge, Triemlispital“ kam) zusammen mit den dröhnenden, wummernden Bässen und der gesamtem Geräuschkulisse von Bit-Tuner, hatten etwas hypnotisches und kathartisches. Sie brachten Gefühle hervor, die ich bei solcher Musik eigentlich nicht verspüren sollte. Aber das Ganze gefiel mir echt immer besser, ein Lied über Alkohol zum Beispiel blieb mir mit dem starken Stranger Things Vibe sehr in Erinnerung.
Dem Publikum gefiel es auch mehr und mehr, die Leute verbogen sich, tanzten und waren augenscheinlich komplett in ihrer eigenen Welt verloren. Ich kam auf jeden Fall nicht umhin, immer wieder zu denken, wie wundervoll bekloppt das alles ist, wie man sich als Künstler anmasst, solche Texte zu schreiben. Aber ich denke, Sinn und Wahnsinn lagen hier so nah beieinander, dass jegliche Rationalisierungsversuche ohnehin nichtig waren. Irgendwann wurde das „letzte Lied vor den letzten vier Songs“ angekündet, was ich auch schon wieder sehr lustig fand, und so war dann gut weitere zwanzig Minuten danach auch wirklich fertig. Göldin & Bit-Tuner verliessen die Bühne triumphierend aber genau so unspektakulär, wie sie gekommen waren. Die Leute applaudierten und ich war um eine tiefschürfende, merkwürdige und verstörend angenehme Erfahrung reicher. Wirklich eine spezielle Band, ich will nicht sagen, dass ich ein Fan geworden bin, aber ich bin froh, mich mal auf so etwas Komisches eingelassen zu haben.
Nun denn, nach einem angenehm kurzen Umbau ging es dann weiter im Text, und es war nun endlich Zeit für die sagenumwobenen Goldenen Zitronen. Die 6 Musiker liefen auf die Bühne und mein erster Gedanke war, dass sie aussehen, als ob sie ein orientalisches Vorhangfachgeschäft überfallen hätten. Allesamt in bunten, fliessenden Stoffen eingewickelt, angeführt von Mastermind Schorsch Kamerun, der zu seinem Vorhang-Outfit noch weisse Sneakers und hautenge, glitzernde Leggings vorweisen konnte. Was für ein Anblick. Leider konnte ich nirgendwo eine Setlist ergattern, wenn mich mein Gehör aber nicht täuschte, ging es mit dem eher punkigen „80 Millionen Hooligans“ los, womit die Leute im Publikum erst mal wieder aufgeweckt und wachgerüttelt wurden. Das ging doch ganz gut ab. Wie schon bei der Vorgruppe, kam ich auch bei den Goldies nicht umhin, mich die meiste Zeit über zu wundern, was die wohl alles für Drogen nehmen, um solche Musik zu schreiben. Wahnsinnig abgedreht, wie die alle da auf der Dachstock-Bühne musizierten.
Mir fiel sofort auch auf, dass hier ziemlich geniale Musiker am Werk waren, die vermochten, die Songs stets ziemlich einfach und simpel ertönen zu lassen, auch wenn bei genauem Hinhören überraschend viel passierte. Ziemlich faszinierend. So ziemlich alle Bandmitglieder spielten zudem auch mehrere Instrumente und es herrschte reger Instrumentenwechsel, so wurde zum Beispiel der normale Rechtshänder-Bass einfach Hendrix-mässig auf den Kopf gedreht, damit der linkshändige Gitarrist darauf spielen konnte. Der Bassist spielte dann einmal Synthesizer, dann wieder Bongos oder er stand einfach nur am Bühnenrand. Einmal war sogar eine Bouzouki (eine Art griechische Mandoline) auf der Bühne und ein Lied, bei dem ich vermeine, die Textpassage „wir verlassen die Erde“ gehört zu haben, wartete sogar mit einer Blockflöte auf. Egal was für eine Musikrichtung eine Band nun spielt, eine Blockflöte ist nun eigentlich wirklich nie auf einer Bühne anzutreffen. Das war schon sehr beeindruckend und machte vor allem Spass. Da Tat es der Stimmung auch keinen Abbruch, dass Schorsch Kamerun die meisten seiner intelligenten und involvierten Texte von einem Notenständer ablesen musste. Ist ja auch nicht mehr der Jüngste, der Gute, und was er an mangelnder Textsicherheit hatte, das machte Schorsch mit seinen traumhaften Tanzkünsten und seinem unverkennbaren Hamburger Charme sowieso wieder wett.
Die Stimmung war hervorragend heute Abend, bei mir genauso, wie auch bei allen anderen im Dachstock. Ich wusste vor dem Konzert nicht wirklich, was ich hier erwarten sollte, und ob jemand in Bern Die Goldenen Zitronen, die ja nun doch schon seit 1984 unterwegs sind, überhaupt kennt. Aber diese Sorgen waren unbegründet, denn die Venue war ziemlich voll und die Stimmung war ausgelassen. Ich weiss nach wie vor nicht, was ich von all dem halten soll, und ich kann nicht erklären, warum mir das alles eigentlich so gefiel, aber ich hatte eine wundervolle Zeit, diesen sechs Gestörten bei der Arbeit zuzusehen. Das Lied „Das war unsere BRD“ zum Beispiel, blieb mir in lebhafter Erinnerung, denn dieses war für die Verhältnisse des heutigen Abends richtiggehend geradlinig und normal. Der zackige Beat, das grandiose funkige Gitarren-Riff, der tolle mitsingbare Refrain und nicht zu Letzt die schiere Spielfreude der Band, machten dies zu einem der musikalischen Highlights des Abends – wirklich ein cooler Song.
Irgendwann zeichnete sich dann aber langsam aber sicher auch schon das Ende ab. Auf Grund der fortgeschrittenen Zeit (es ging schon auf die 1 Uhr morgens zu), konnte ich nicht wirklich abschätzen, wie lange das Konzert effektiv in etwa ging, aber die Stimmung war am Kochen, die Band war gut drauf und eigentlich wollte niemand, dass dieses Erlebnis schon fertig ist. Und so kamen die Herren gutgelaunt schon nach wenigen Zugabe-Rufen zurück auf die Bühne und beehrten uns mit zwei weiteren Songs. Doch damit nicht genug, warum einen Zugaben-Block spielen, wenn auch zwei gehen, und so ging es noch weiter, sehr zum Gefallen des Publikums. Die Goldies gaben hier nochmals alles, Schorsch trommelte wie ein Verrückter auf einem Barhocker herum, die Synthies und Keyboards produzierten nochmals die merkwürdigsten Töne und das Berner Publikum freute sich wahnsinnig ob einer solch wunderbaren, abstrusen und künstlerischen Darbietung.
Ein wundervoller Schluss zu einem sehr merkwürdigen aber durch und durch genussreichen Konzert, eines, wie man es nicht alle Tage erlebt. Die Goldenen Zitronen sind nicht von dieser Welt, mit Liedern, die zwischen satirischer Politik-Unmut und hanebüchenem Unfug schwanken, dabei auf musikalisch und spielerisch sehr hohem Niveau, ist es ihnen gelungen, etwas ganz Besonderes erschaffen zu haben. Ob ich das irgendwann nochmals sehen muss, weiss ich nicht, restlos überzeugt bin ich nicht. Aber Spass hat das auf jeden Fall gemacht, ein Konzert, wie man es nur selten erlebt und auf jeden Fall eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte.
Text: David Spring
Bilder: Alain Schenk