Band: Das Fortleben
Album: Der Mensch Ist Los!
Label/Vertrieb: Label/Vertrieb
Veröffentlichung: 9. Oktober 2012
Website: dasfortleben.de
Geschrieben von: Dennis Bäsecke
Entdecken durfte ich „Das Fortleben“ als Support-Act von von Clan of Xymox. Einen beeindruckenden dramaturgischen Bogen spannten Borislav Schultheiss (Komposition, Aufnahme, Mix und Mastering) und Luke J.B. Rafka (Texte und deren Vortrag) dort von dem Flair einer düsteren Lesung hin zur energischen Electro-Kaskade.
Auf dem Album „Der Mensch ist los!“ legt Das Fortleben gleich mit dem Titeltrack den Turbo-Gang ein. Clevere und kritische Texte winden sich in eindringlichem Sprechgesang über die differenzierten und stets abwechslungsreichen Kompositionen. Dabei sind die Synth-Hooks ebenso bissig, wie die dornenschweren lyrischen Ranken von Luke J.B. Rafka. Attitüde und musikalische Umsetzung bilden eine konsequente Einheit. Dass sich mir dabei Assoziationen mit Künstlern wie „Das Ich“ oder „Goethes Erben“ aufdrängen, werte ich als gutes Zeichen.
„Das Herz (schlägt nur für einen selbst)“ und kitzelt mit den punktuell eingesetzten warmen Synthesizern die Ohren. In einer ruhigen Trance schwankt der Song zwischen einem rezitativen Charakter und eingängigen Melodien, während vom friedlichen Widerstand die Rede ist. Einen ganz neuen Tonfall schlägt das „Blut Der Erde“ an. Herrlich schlurfend hinkt der Sechsachteltakt dahin und die summenden Männerstimmen im Chorus lassen vor dem inneren Auge die blutdurstigen Zombies der Ölindustrie zum Leben erwachen. Ausserdem wurden wunderbar absurde Sounds ausgewählt, die dem Song sein Gewand verleihen. Da klickt und surrt es und wechselt zwischen „historischen“ und modernen Klängen.
Die Anstalt ist ein beunruhigendes Ton-Gewölbe mit sehr engen Mauern. Eine Hörspiel-Sequenz in deren Verlauf sich ein martialischer Industrial-Beat entwickelt der sich zunächst im Kreis dreht und dann in einem Aufschrei entlädt der die Wände der Anstalt durchbricht und das lyrische Ich hinausschleudert ins „Massengrab:Mensch“. Was für ein Gänsehaut-Moment!
Dieses Massengrab ist die donnernd stampfende Fortführung der Klanglandschaft der Anstalt. Mit quälendem Walzen wird das Unbehagen zur Beklemmung und zwischen Amboss-Schlägen, Klavier und Blechbläsern spitzt sich die dystopische und ausweglose Situation zu, die ja nicht unbedingt fiktiv zu verstehen ist. Ein warnender Weckruf!
An das verzweifelte „Heilig Blut“, dessen Refrain zum Mittanzen und Mitsingen einlädt, schliessen sich die Anti-Olympia-Hymne „Inflationsbereinigung“ und das Marionetten-Spiel an. Der Sound verändert sich die ganze Zeit und bleibt doch unaufdringlich. Besonders deutlich zeigt sich hier ein Merkmal der Texte über das der eine oder andere stolpern mag. Es schachtelt ordentlich in den Satzkonstruktionen. Oft werden sie auch durch Pausen unterbrochen. Und so kann man nicht immer beim ersten Hören folgen. Aber warum nicht mal mitdenken müssen? Ausserdem ist anzumerken, dass die beiden Schwarzseher das, was allgemein gerne mit dem Begriff „Verschwörungstheorien“ erschlagen wird, bis zum Exzess zelebrieren. Das muss man wollen, sonst wird das Album irgendwann anstrengend.
Der „Mensch aus Glas“ zeichnet ein eiskaltes Portrait der Gesellschaft und die „Moralpredigt“ im sphärischen Büssergewand aus Synth-Pads, die von der charmanten Vocoder-Stimme untermauert wird, überzeugt in ihrer glaubwürdigen Eindringlichkeit. Mit Weltenbrand holt das Fortleben noch mal weit aus und schmettert einen Tanzflächen-Tauchsieder in den Äther. Im Refrain erinnert der Sound schon fast an die Brachial-Kraft von Kollegen wie „Agonoize“.
Das Fortleben präsentiert eine eigenwillige Klangkunst, die sicher polarisiert. Keine Musik für jeden und gerade deshalb mutig. Was man auch davon hält, eines sollte man festhalten: Während wir ertragen müssen, dass sich Mono Inc. beim ARD-Box-Event (?!) zum hellschwarzen Hampelmann machen lassen und die meisten Cyber-Clowns ihre eigene Musik inhaltlich aushöhlen wie einen traurigen Halloween-Kürbis, ist es erfrischend zu hören, dass jemand sich wirklich Gedanken und die Mühe macht, aus diesen eine Haltung zu entwickeln. Vorausgesetzt, man ist bereit der Band auf ihrem gedanklichen Rundumschlag zu folgen, lässt das Album den Hörer in einer unbehaglichen Stimmung zwischen Zugzwang und Ohnmacht zurück. Mir gefällt das in all seiner Konsequenz sehr. Aber hier muss sich wohl jeder sein Bild selbst machen. Wenn ich Das Fortleben richtig verstanden habe, dann ist das ja auch durchaus so gewollt.
Musik, die nicht erlaubt, ihren Inhalt zu überhören und ständig vehement aus jeder Schublade hüpft.
Tracklist:
1. Todesangst
2. Der Mensch ist los
3. Das Herz (klopft nur für einen selbst)
4. Blut der Erde
5. Anstalt
6. Massengrab:Mensch
7. Heilig Blut
8. Inflationsbereinigung
9. Marionettenspiel
10. Mensch aus Glas
11. Respekt – Anstand – Moral
12. Weltenbrand
13. Hörst Du das Meer?
Bandmitglieder:
Luke J.B. Rafka – Gesang, Texte
Borislav Schultheiss – Musik, Synthesizer