Loma Vista / VÖ: 9. Februar 2024 / Industrial, Metal
chelseawolfe.com
Text: Peter Burckhardt
„Es ist eine Aufzeichnung über das vergangene Selbst, das sich dem gegenwärtigen Selbst anschließt und das zukünftige Selbst anstrebt, um Veränderung, Wachstum und Führung herbeizuführen. Es ist eine Geschichte darüber, wie man sich von Situationen und Mustern befreit, die einen zurückhalten.“ Mit diesen Worten beschreibt Chelsea Wolfe den Inhalt ihres neuen Werkes “She Reaches Out To She Reaches Out To She”. Authentizität und Unabhängigkeit erlangen. Wissen, wer man selbst eigentlich ist. Da ich mich momentan intensiv mit diesen Themen auseinandersetze, trifft Chelsea Wolfe mit ihren Worten einen Nerv. Um mich nach langer musikalischer Durstrecke zu rehydrieren, brauchte ich aber nicht nur gute Texte, sondern auch innovative Musik, die ich nicht bereits gefühlte 524’216 Mal gehört habe. Kurz gesagt: Ich litt an Ohrwürmern und brauchte eine Therapie. Chelsea Wolfe liess mich mit ihrem tiefgründigen, atmosphärischen und komplexen Album endlich wieder die Kraft und die Macht der Musik spüren.
Bereits die düsteren Klangwelten vom Opener “Whispers In The Echo Chamber” machen deutlich, dass “She Reaches Out To She Reaches Out To She” kein Album ist, welches man mal so nebenbei hört. Zu vertrackt sind die elektronischen Beats und die geschichteten Synthesizer, zu zerbrechlich, ehrlich und einnehmend ist Chelsea Wolfe’s Stimme. Ich kann nicht anders als gebannt hinzuhören und in die Musik einzutauchen. Irgendwo zwischen Industrial, Trip Hop, Doom-Metal und Art-Rock schlängelt sich die Musik in mein Hirn und sucht dort vergeblich nach Gesellschaft von ähnlichen Künstlern.
In der experimentellen Song-Konstruktion “Eyes Like Nightshade” findet die Abstraktheit schliesslich ihren Höhepunkt. Der Song bietet musikalisch nichts, woran man sich festhalten kann, bis auf die sich unregelmässig wiederholende Textzeile “Eyes Like Nightshade”. Und genau daran bleibt man dann auch nachhaltig hängen. Zerreissend traurig breitet sich “Place In The Sun” aus. Ein Titel der sich gut und gerne auch als melancholischer Abspann einer Grey’s Anatomy Folge anbieten würde. Das Album ist alles andere als einfach zugänglich, bietet aber doch ab und zu Momente zum Durchatmen, wie etwa bei den etwas luftigeren Titeln “Salt” oder “The Liminal”.
Mit “She Reaches Out To She Reaches Out To She” schenkt uns Chelsea Wolfe ein nachdenkliches, sehr persönliches Album mit viel Tiefgang und ohne dem Drang, irgendwo musikalisch eingeordnet zu werden. Man mag es oder nicht. Und wenn ich darüber nachdenke, hat diese Beschreibung auch viel mit meinem Ich gemeinsam. Ob Zufall oder nicht; Es sind diese Momente, die Musik so wertvoll für uns alle machen.