Ullstein / ISBN: 978-3-550-20149-3
Text: Cornelia Hüsser
Es ist Hamburg. Es regnet. Er ist das erste Mal alleine auf einem Konzert.
Und auf einem solchen dauert es zum Glück nie lange, bis man neue Freunde findet – die Band macht Krach, die Leute fliegen im Pogo durch den Club und das Bier fliesst in stetigen Strömen. Albert Bremer ist neu in Hamburg, raus aus der kulturellen Wüste der oberbergischen Provinz, rein ins Leben. Schnell findet er sich im nächtlichen Irrsinn einer Nacht auf St. Pauli wieder, findet neue Freunde, ein WG-Zimmer und eine Band.
«Ein Roman wie eine durchfeierte Nacht» – das haben sich Jan Müller und Rasmus Engler vorgenommen. Die beiden umtriebigen Hamburger Musiker (u.a. Tocotronic, Gary) gehen nun also unter die Schriftsteller. Das muss nicht zwingend eine gute Idee sein. Eines sei aber vorweggenommen: mit «Vorglühen» ist ihnen ein ausgezeichneter Wurf gelungen.
In Hamburg sagt man Tschüss
«Vorglühen» erzählt von Hamburg 1994, einem Lebensgefühl und von Musik. Was mit einer stark alkoholgeschwängerten Nacht beginnt, entwickelt sich zu einer Geschichte über Freundschaft, Liebe und die mit ihnen einhergehenden Enttäuschungen. Die WG, in der Albert landet, beinhaltet unter anderem Bandmitglieder, die zufälligerweise auch noch einen weiteren Gitarristen gebrauchen können – er ist engagiert. Proben, Konzerte und seine neue, hinreissende Bekanntschaft Diana nehmen ihn so ein, dass er die Existenz seines Germanistik-Studiums erfolgreich zu verdrängen weiss. Genauso wie die Tatsache, dass er in Barmbek immer noch ein Zimmer gemietet hat, das es zu kündigen gälte. Und das vermutlich gerade von seinem allzu spontan eingesetzten Untermieter verwüstet wird.
Ein Lebensgefühl, kein Schlüsselroman
Müller und Engler präsentieren die literarische Antithese zum neuen Berlin-Roman mit Latte Macchiato, Hipsters und Techno: Hamburg, Mutters Aprikosengeist und Rockmusik. Die Figuren sind impulsiv, skurril und umtriebig, wobei sie ab und zu tatsächlich etwas zustande bringen. Neben Mitbewohnern, Band und der hinreissenden Diana sind da zum Beispiel die alte Frau Baszak in der Wohnung über der WG, bei der man in Notsituationen Unterschlupf findet. Oder die Gebrüder Brett, die auf alles mit Verkleidung stehen. Oder Dido, die fleischfressende Pflanze, die zum Shootingstar wird.
Dabei fängt «Vorglühen» das elektrisierende Gefühl ein, in einer Zeit zu leben, in der gerade Grosses entsteht; und das gelingt, ohne dass die Figuren von sich selbst eingenommen wären. Auf verklärende Nostalgie wird glücklicherweise verzichtet. Den Autoren ist damit ein zeitloser und höchst unterhaltsamer Roman gelungen, der sich hervorragend als Sommerlektüre – bei Sehnsucht nach etwas Nebel und Nieselregen – eignet.