Band: Bob Dylan
Album: Rough and Rowdy Ways
Genre: Singer/Songwriter / Blues / Folk
Label: Columbia Records
VÖ: 19. Juni 2020
Webseite: bobdylan.com
Bob Dylan ist wie Aprilwetter. Zuweilen gewitterhaft und stürmisch, dann wieder sonnig und gefällig. Und – egal wie sehr seine Anhänger schimpfen und zetern – nicht zu beeinflussen.
Um dem Vergleich treu zu bleiben, könnte man von einem lang andauernden und unangenehmen Tiefdruckgebiet sprechen, das Dylan seinen Fans zuletzt zugemutet hat. Acht Jahre ohne einen einzigen neukomponierten Song – das gab es in seiner bald 60-jährigen Karriere noch nie. Stattdessen lieferte die Ikone Dutzende zweifelhafte Interpretationen von Jazz-Standards ab.
Welche Befriedigung bringt den Wartenden da das neue Album «Rough and Rowdy Ways». Und das nicht alleine durch die Tatsache, dass es zehn neue Songs enthält.
Los geht’s mit der selbstironischen Betrachtung «I contain Multitudes», die verglichen mit vielen seiner letzten Opener aus dem Rahmen fällt. Dylan schmeisst seinen Zuhörern gerne zu Beginn eines Albums einen Grummel-Blues vor die Füsse. Das hier indes erinnert kompositorisch an die reflektierten Balladen seines Albums «Oh Mercy» – etwa «What good am I» oder «Disease of Conceit». Die spärliche Instrumentierung besteht hauptsächlich aus einer leise gezupften akustischen und dem daruntergelegten Klangteppich einer Slide-Gitarre. Die mitunter bösartigen Zeilen kontrastieren die liebliche Akustik – und geben einen Vorgeschmack auf das, was folgt.
Und zwar genau das Aprilwetter, das ein Bob Dylan mit dem Titel «Rough And Rowdy Ways» verspricht – ein Potpourri aus Stilen, Tonalitäten, Inhalten. An den Opener schliesst sich mit «False Prophet» der verloren geglaubte Grummel-Blues an. «My Own Version Of You» ist ein zärtlich gespielter und gesungener schneller Walzer, in dessen Text Dylan zu brachialen Massnahmen greift, um seiner Traurigkeit um eine vermisste Person Herr zu werden. So berichtet er gleich eingangs des Songs etwa – nicht ohne leise Blasphemie -, wie er in Klostern und Moscheen nach Körperteilen, Rippen oder Schenkel, gesucht habe, um sein fehlendes Gegenüber zu gestalten.
Dem schnellen Walzer folgt ein langsamer – «I Made Up My Mind To Give Myself To You». Unterlegt von gesummtem Doowop-Singsang lässt Dylan seine sarkastische Fassade fallen. Er träumt, er jammert und weint: «I’ve Traveled A Long Road Of Despair / I’ve Met No Other Traveler There / Lot Of People Gone, Lot Of People I Knew / I’ve Made Up My Mind To Give Myself To You.»
Dylans Kompositionen sind bis dahin erfrischend und ungewohnt komplex. Die Jahre der intensiven Auseinandersetzung mit Jazzmusik haben offensichtlich doch eine positive Wirkung entfaltet. Mit «Black Rider» folgt diesbezüglich wohl das wunderlichste Werk auf dem neuen Album. Die akustische und die Slidegitarre schrummen die im Dreivierteltakt wechselnden Akkorde lediglich an. Auf den Harmonieverlauf dürfte gar Brian Wilson mit Neid blicken. Und Dylan schafft dazu auch noch die Illusion einer Melodie.
Mit «Goodbye Jimmy Reed» und «Crossing the Rubicon» knurrt sich Bob Dylan in der zweiten Hälfte des Albums durch zwei weitere klassische Blues-Nummern; in unterschiedlichen Tempi aber vergleichbarer Tonalität. «Mother of Muses» bedenkt Dylan mit dem schönsten Gesang, den seine Stimme in seinem Alter noch zulässt. Die Komposition erinnert an ein Kirchenlied, in dem er die Muse als seine persönliche Gottheit anbetet und um Erleuchtung anfleht. Teil eins des Albums beendet er mit dem folkigen «Key West», einer Ode an einen seiner Lieblingsorte.
Teil zwei des Albums ist der 17-minütige Monstersong «Murder Most Foul», der die Geschichte rund um die Ermordung von John F. Kennedy nachzeichnet. Mit dem Song hatte er vor einigen Monaten sein neues Werk angekündigt und dabei erstmals in seiner Karriere Platz eins der amerikanischen Hitparade erklommen.
Wie soll man nun dieses wildwüchsige Album innerhalb von Dylans Gesamtwerk werten? Da Dylans Songs meist Zeit zum Reifen benötigen, ist eine frühe Lobeshymne der Kritiker auf ein Album zuweilen etwas suspekt. Und doch muss sie sein. «Rough and Rowdy Ways» enthält einige von Dylans komplexesten und schönsten Kompositionen. Es knüpft hinsichtlich der vollendeten und zärtlichen Arrangements direkt an eines seiner grössten Alben, «Oh Mercy», an, schafft es aber nicht zu einem derart einheitlichen musikalischen und lyrischen Guss. Wenn einer eine Song-Kollektion als «Rough And Rowdy» betitelt, dürfte das aber auch nicht seiner Absicht entsprechen. Dies kann man gutheissen oder nicht. Bob Dylan wird es kaum kümmern.
Tracklist:
1. I Contain Multitudes
2. Fals Prophet
3. My Own Version Of You
4. I’ve Made Up My Mind To Give Myself To You
5. Black Rider
6. Goodbye Jimmy Reed
7. Mother Of Muses
8. Crossing The Rubicon
9. Key West (Philosopher Pirate)
10. Murder Most Foul
Bandmitglieder:
Bob Dylan – Gesang
Charlie Sexton – Gitarre
Bob Britt – Gitarre
Donnie Herron – Steel Guitar, Violine und Akkordeon
Tony Garnier – Bass
Matt Chamberlain – Schlagzeug
Gründung:
1962
Text: David Kilchör