Datum: 26. – 29. August 2015
Ort: Rümlang – Zürich
Webseite: Zürich Openair
Bilder vom:
MITTWOCH 26. August 2015
DONNERSTAG 27. August 2015
FREITAG 28. August 2015
SAMSTAG 29. August 2015
Ein interessantes Zwitterwesen, dieses ZÜRICH OPENAIR. Einerseits mit tollem, abwechslungsreichem Line-Up, andererseits zu jung für eine klare Identität im übersättigten Festivalmarkt. Der Identitätsschaffung ist zudem nicht gedient, wenn das Gelände jedes Jahr neu arrangiert wird. Wir sind schliesslich Gewohnheitstiere und wollen unsere Lieblingsbühnen am gewohnten Platz. Angenehm ist das Areal aber allemal: kein halsbrecherischer Gurten-Waldbühne-Abhang, kein Nadelöhr-Gedränge, und hin und wieder ein spektakulär naher Start eines Flugzeugs vom nebenan liegenden Flughafen.
MITTWOCH
Newcomer Years & Years starten in den ersten Nachmittag und verzücken die Fans – vorwiegend weiblich, vorwiegend jung – mit Elektro-R&B. Überzeugend: die modulierte Tenorstimme von Sänger Olly Alexander. Die Musik ist eine Spur zu brav für mich, klingt aber dennoch unbestreitbar ohrwurmig. Durchbruch-Single „King“ liefert die erste Arme-in-die-Höhe Hymne des Festivals.
Wolf Alice gehen härter zur Sache. Es dröhnt Alternative Rock mit Punk-Anleihen aus den Lautsprechern, und die Band um Sängerin Ellie Rowsell frickelt absorbiert an den Instrumenten.
Sperrig kommen danach Alt-J daher. Erfreulich, dass ihre Musik so populär ist, denn ihr Indie-Rock gehört nicht zum üblichen Mainstream und die näselnde Stimme von Sänger Joe Newman ist sicher nicht jedermanns Sache. Offenbar schreckt die Stimme nicht ganz alle ab – im Gegenteil, Alt-J locken die erste richtig grosse Zuschauermenge vor die Bühne. Highlights ihrer Show sind das klimpernde „Dissolve Me“ und der ratternde Takt von „Breezeblocks“.
Ásgeir schaltet einen Gang runter auf atmosphärischen, sanften Sound. Der Sänger lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und bringt Songs aus dem Album „In The Silence“ mal auf Englisch, mal auf Isländisch.
Und dann: Zigaretten in den Mundwinkeln, Hüte auf den Köpfen – hier kommen The Libertines. Die Headliner des Abends stürcheln auf die Bühne und hauen handgestrickt in die Saiten; sie sind chaotisch, fahrig, unpoliert. Ein Spektakel, von dem ich nicht wegschauen kann, auch wenn ihre Musik gar nicht mein Ding ist.
Die Faszination der Libertines lebt, wie bei vielen Bands, von der Dynamik des Frontmann-Duos, in diesem Fall von Peter Doherty und Carl Barât. Die beiden teilen sich mal brüderlich das Mikrofon, mal rangeln sie ihre Gitarren gegeneinander. Deutlicher könnte ihre spannungsgeladene Freundschaft nicht zum Ausdruck kommen.
Die Faszination liegt auch daran, dass die Band völlig unberechenbar ist: jeden Moment könnte alles in die Binsen gehen. Ein sauberes, präzises Konzert ist das definitiv nicht. Nach den insgesamt eher unbescholtenen Auftritten des Tages ist das aber eine durchaus willkommene Abwechslung.
Gewinner des Mittwochs:
Bestes Sommertenue: Years & Years
Beste Sonnenbrille: Alt-J
Beste Banddynamik: The Libertines
DONNERSTAG
Einfach toll, die Jungs von me.man.machine. Melodiös und musikalisch souverän. Den ersten Teil ihres Konzerts bestücken sie mit Songs aus dem neuen Album, das im September erscheinen wird. Es ist ein Zeichen ihres guten Songwritings, dass alle Lieder sofort positiv auffallen, allen voran die Single „Wake Up“. Schade nur, dass sich erst wenige Leute auf dem Gelände eingefunden haben – die Zürcher Band verdient ein grosses Publikum.
Mit Bear’s Den und Mighty Oaks finden sich nacheinander stimmungsvolle Troubadoure auf der Hauptbühne, die mit gemütlichem Folk-Pop aus England und Indie-Folk ‚Made In Berlin‘ imponieren.
Währenddessen verströmen Echosmith auf der Zeltbühne etwas kantenlosen amerikanischen Indie Pop. Die vier blutjungen Geschwister wirken, als wären sie für die Titelblätter der angesagten Musikmagazine inszeniert.
TV On The Radio hingegen versprühen eine Energie, die vollkommen authentisch ist. Die Band besticht nicht nur durch die Musik, sondern durch ihr selbstsicheres Auftreten und das Charisma von Sänger Tunde Adebimpe. Mal ist Adebimpe der Funkkönig, mal der Rock-Frontmann. Psychedelische Instrumentaleinlagen wechseln sich mit geradlinigem Rock. Ein Höhepunkt des Donnerstags.
In grauer Vorzeit fingen Bastille als Vorband von Keane an, nun sind sie Headliner auf einer Festival-Hauptbühne, umgeben von kreischenden Mädels und grosser Lichtshow. Sind definitiv weitergekommen, die Jungs. Zwar ist ihr Oeuvre noch nicht riesig, aber schöne Lieder haben sie mit im Gepäck: das dramatische „The Driver“ zum Beispiel, oder das hübsche „Overjoyed“, bei dem Sänger Dan Smiths Stimme voll zur Geltung kommt. Überhit „Pompeii“ verwandelt das Areal in ein hüpfendes Meer an Menschen.
Die jüngeren Besucher pilgern danach nach Hause, während sich die älteren Semester im Zelt einfinden, um den Stereophonics zu huldigen. Auffällig wenig Gekreische, dafür umso mehr sonores Jubeln. Die walisische Band rockt solide und frohgemut durch ihr Konzert.
Gewinner des Donnerstags:
Beste Melodien: me.man.machine.
Beste Bärte: Bear’s Den und Mighty Oaks
Bestes Charisma: TV On The Radio
FREITAG
Am helllichten Nachmittag präsentiert der Australier Josef Salvat seine Songs mit zartschmelzender Stimme – zum Glück im Zelt, denn seine emotionalen Balladen gehören nicht der Sonne ausgesetzt. Als männlicher Lana Del Rey wird er bezeichnet, und ganz falsch ist der Vergleich nicht: seine Musik zeichnet sich durch dieselbe Inbrunst aus. Dass die meisten Lieder schmachtend daherkommen, ist in diesem Fall absolut in Ordnung, denn Salvats wunderbare Stimme reisst alles raus. Seine Band unterstützt ihn zudem präzis und kraftvoll. Eine Entdeckung.
Ganze 18 Jahre hat die norwegische Aurora auf dem Buckel. Glasklar singt sie ihre Folk-Melodien und untermalt die Lieder mit feenhaften Armbewegungen.
Mit leicht krächzender Stimme und entspanntem Folktronica Sound zieht Milky Chance die Massen vor die Hauptbühne. Der Mann hat seinen Stil und bleibt dabei – passt prima zu einem lauen Sommerabend.
Mit sechs Bussen sind sie angekarrt, die Truppe von Seeed. Bläser, Beats und Bässe bringen sie mit; Reggae, Rock und Rap leben sie aus. Wie die Elstern pickt sich die Gruppe die glänzenden Teile anderer Songs raus und vermischt sie zu etwas Neuem. Originell? Nein. Partygarant? Ja. Das Beste am Konzert ist das Peter Fox-Original „Schwarz Zu Blau“: ein klasse Stück.
Das komplette musikalische Gegenteil zu Seeed verkörpern Interpol: introvertiert, dunkel, intensiv. Mein persönlicher Favorit des Tages. Wenn man sich auf ihre Musik einlässt, entwickeln Interpol ihren ganz eigenen Sog: mit dem schleppenden „Rest My Chemistry“ zum Beispiel, oder dem wunderschönen Refrain von „Take You On A Cruise“. „Slow Hands“ sorgt für Hände-in-die-Luft-Feeling, und bei „Pioneer To The Falls“ glänzt Sänger Paul Banks mit klangvoller Stimme. Wie immer steht die Band statisch vor ihren Mikrofonen und zieht unspektakulär ihr Programm durch. Feuchtfröhlich-ausgelassen ist das sicher nicht, dafür aber ein musikalisches Schmankerl. Und wenn dann – ganz uncharakteristisch für die sonst übliche Zurückhaltung bei Interpol – ein BH auf die Bühne geworfen wird, muss sogar der ernste Paul Banks grinsen.
Fatboy Slim startet mit „Eat Sleep Rave Repeat“ furios in sein Set, dessen erste Hälfte astrein ist. Mitreissende Beats, übergeschnappte Steigerungen, und eine Zuschauermenge, die tobt. Schade, dass die Energie in der Mitte des Konzerts abflaut und mit wenig interessanten Latin- und House- Rhythmen garniert ist. Gegen Ende kehrt die Stimmung mit Ausschnitten aus Unterworlds „Born Slippy“ wieder zurück. Eine durchwachsene Sache.
Gewinner des Freitags:
Bestes Schmachtpotenzial: Josef Salvat
Beste Haarpracht: Milky Chance
Beste Choreografie: Seeed
SAMSTAG
Das Blood Red Shoes Duo aus Brighton prescht mit sattem Garage Rock durch den Nachmittag und verschmachtet dabei fast in der gleissenden Sonne. „Does anyone want to play drums for me, because I can’t do this anymore!“, meint Schlagzeuger und Sänger Steven Ansell völlig verschwitzt. Natürlich spielen die beiden ihr Konzert gekonnt zu Ende. Hut ab.
Zur besten Sendezeit treten die Berner Mundartrapper Lo & Leduc auf. Kürzlich haben sie am Gurten die Zeltbühne zum Platzen gebracht und auch hier versammelt sich das Publikum in Scharen, um dem mit Reggae-Elementen versetzten Rap zu lauschen. Sympathisch!
Mit Hot Chip wechselt der Stil ins Elektronische: tanzbar, vielschichtig, abwechslungsreich – so klingt gut durchdachte Musik. Das ist sicher auch Sänger Alexis Taylor zu verdanken, der eher aussieht wie ein Bibliothekar als ein Rockstar. Herrlicherweise stehen seine Eltern in der ersten Reihe und fotografieren die Band – das würden sie an fast jedem Konzert ihres Sprösslings machen, versichern sie mir. Auch hier: sympathisch!
Headliner Kasabian, die in England mühelos alle Hallen füllen und die Mengen begeistern, müssen hierzulande härter arbeiten, um die Leute in Fahrt zu bringen. Das tun sie immerhin schon zu Beginn mit dem eins-zwei-drei Rundumschlag von „Bumblebee“, „Shoot The Runner“ und „Eez-Eh“. Mit „Underdog“ setzen sie noch eins drauf, und „Club Foot“ löst gar Circle Pits aus. Danach ist das Konzert aber durchmischt: mal löst die Band (zumindest bei mir) Ekstase aus („Switchblade Smiles“), mal verliert sie die Aufmerksamkeit des Publikums („Re-Wired“, „Vlad The Impaler“).
Ihr Konzert am ZÜRICH OPENAIR ist das letzte der aktuellen Tournee. Also zögern die Mannen von Kasabian nicht lange und feiern nach getaner Arbeit mitten im Publikum bei Tame Impala mit. Zum dritten Mal an diesem Tag: sympathisch!
Die Band Tame Impala entpuppt sich als wahre Perle. Die Fans in der ersten Reihe sind nicht zu bändigen und verbreiten ihre ausgezeichnete Stimmung im ganzen Zelt. Der psychedelische Einschlag der Australier wirkt sich psychologisch aus: der Selig-Vor-Sich-Hintanz-Pegel ist auf dem Höchststand. Magisch.
Entspannt geht‘s weiter mit Paul Kalkbrenner auf der Hauptbühne. Ehrlich gesagt: für mich persönlich etwas zu fade und zu Minimal.
Und dann das Gegenteil: Musik für die ADS-Generation mit Frisurkönig Skrillex. Als würde man ständig den Kanal wechseln, springt der amerikanische DJ von einem Beat zum nächsten. Hat er etwa Angst, dass nach mehr als zehn Sekunden des gleichen Rhythmus Langeweile aufkommen könnte? Scheint so. Das Zelt bringt Skrillex allerdings zum Kochen – ein idealer Abschluss also fürs ZÜRICH OPENAIR.
Gewinner des Samstags:
Bester Dialekt: Lo & Leduc
Beste Lichtshow: Tame Impala
Sympathiepunkte: Kasabian
FAZIT
Das Wetter: eine Wucht. Das Line-Up: tadellos. Nur: das Publikum wirkt weitgehend lustlos. Nicht immer, aber viel zu oft. Sind die Leute festivalmüde? Ist es zu heiss? Ist es Zürich? Schade für die hochkarätigen Bands, die sich an den vier Tagen auf den Bühnen abmühen. Immerhin: die Veranstalter ziehen eine positive Bilanz – mit über 60’000 Besuchern steht das ZÜRICH OPENAIR dieses Jahr deutlich besser da, als 2014. Für mich ein würdiger Abschluss des Festivalsommers mit musikalischen Lieblingen und spannenden Neuentdeckungen. Genau so muss ein Festival sein.
Text + Bilder: Anna Wirz