8. August 2018
Winterthurer Musikfestwochen
Bands: Von Wegen Lisbeth / Pätschwerk / Magic & Naked / Klain Karoo / Stefanie Stauffacher / Bikini Girls
Petrus hat es gut gemeint mit Winterthur – nach wochenlanger Hitze bringt ein Regenguss zwei Stunden vor dem ersten Konzert der diesjährigen Winterthurer Musikfestwochen dringend benötigte Abkühlung. Um 18.30 scheint jedoch schon wieder die Sonne, während sich bereits eine beachtliche Zuschauermenge auf dem Festivalgelände in der Winterthurer Altstadt eingefunden hat. Das erste Konzert findet auf der grossen Bühne in der Steinberggasse statt – Magic & Naked aus Genf liefern Songs zum mitwippen und den perfekten Sound zur Einstimmung in diese schönste Zeit des Jahres. Verträumte Melodien und eingängige Riffs liefern Entspannung pur, auf dem Gelände herrscht bereits Hochbetrieb. Es wird Bier und Most ausgeschenkt, am Infostand wird erstes Merchandise der Bands erworben, und um die Schlemmerei, die geräumige Essensecke mit allerlei lokalen Helden der Kulinarik, riecht es verführerisch nach Essen.
Nach Beendigung des Sets von Magic & Naked geht es direkt auf der Steibi weiter, jedoch nicht auf der Hauptbühne, sondern auf der Startrampe. Diese ist, wie auch schon die letzten Jahre, auf dem mittleren der drei Brunnen der Steinberggasse aufgebaut. Heute spielen Klain Karoo für fünfzehn Minuten ein Set voller softer Drumbeats, begleitet von traumhafter Stimme und minimalistischen Melodien. Und dank dem zentralen Standort der Startrampe bleibt so mancher im Vorbeigehen stehen und lauscht für ein paar Minuten, was, zusammen mit denjenigen, die die Band aus Zürich bereits kannten und gespannt auf deren Auftritt gewartet haben, eine hübsche Menschentraube um den Brunnen ergibt.
Auf dem Kirchplatz geht es derweil schon weiter mit Musik, wenn auch hier nicht auf der grossen Bühne. Während der nächsten acht Tage des kostenlosen Programms wird hier Strassenmusik gespielt, ein kurzes Set lokaler Künstler, die nicht im Programm der Musikfestwochen erwähnt sind. Die Musiker erhalten, im Gegensatz zu den anderen Künstlern, auch keine Gage vom Festival, sondern bitten, wie es sich für Strassenmusik gehört, um einen kleinen Beitrag in den bereitliegenden Hut. An diesem ersten Abend sind es Durian Express, die mit wildem Swing, gespielt mit Akkordeon, Kontrabass, und allem, was dazu gehört, die Tanzlust in den Gästen erweckt.
Derweil drängen sich mehr und mehr Konzertbesucher vor der Hauptbühne in der Steibi zusammen. Von Wegen Lisbeth aus Berlin, wohl der Favorit des Line Ups bei so manchen Festivalgästen, beginnen kurz nach acht ihr Set. Und weil ein jeder sich einen guten Platz ergattern will, wird es schnell unangenehm eng in der Gasse. Zwischenzeitlich wurden sogar die Eingänge zum Festival geschlossen, da das Areal einfach zu überfüllt war. Doch wem es noch gelungen ist, sich einen Platz zu ergattern, den erwarten anderthalb Stunden gute Laune und gute Musik, gespielt von den fünf Berlinern, die einen solchen Ansturm scheinbar ebenfalls nicht erwartet hätten. Es ist schwer zu sagen, auf welcher Seite mehr Glückshormone verschüttet werden – oben, auf der Bühne, oder unten, in der Gasse. Mit ihren poppigen Songs, bei denen vor allem die Texte herausragen, erobern sie Winterthur im Sturm. Und gepaart mit der allgemeinen Freude darüber, dass die Musikfestwochen endlich wieder Einzug halten, scheint während diesem Konzert die Welt kurzzeitig völlig in Ordnung zu sein.
Sänger Matthias Rhode weiss, wie man das Publikum auf seine Seite zieht. Nebst dem, dass er unzählige Male seinen Dank ausspricht und kein Geheimnis aus der Überwältigung über die nicht enden wollende Zuschauermasse macht, wickelt er die Winterthurer mit lockeren Sprüchen um den Finger und flirtet, was das Zeug hält. Er habe rausbekommen, dass man nicht Winterthur sage, sondern Winti, also gewissermassen als Spitzname – und es sei ihm eine Ehre, nun schon so intim mit Winti zu sein, um es bei seinem Spitznamen nennen zu dürfen. Auch die Verwendung einzelner Schweizerdeutscher Worte bringt ihm wohl noch einige Sympathiepunkte ein. Doch auch ohne das muntere Geplapper des Sängers hat die Band die Konzertbesucher längst auf ihre Seite gezogen. Der Text fast jedes Songs wird lautstark mitgesungen und abgefeiert. Sie sind gewissermassen das Markenzeichen der Indie-Pop-Band aus der deutschen Hauptstadt, mit Zeilen wie „Latte – A slowly hand-brewed flat white coffee – Ist einfach Kaffee, wenn du tanzt“ sorgt Von Wegen Lisbeth für hohen Wiedererkennungswert. Doch auch manche politische oder gesellschaftskritische Message findet Platz in den Songtexten, jedoch geschickt verschachtelt und nicht auf den ersten Blick erkennbar. Die Band spielt jedoch auch Songs, die dem Publikum nicht bekannt sind: Da es sich um das längste Konzert in der Schweiz handle, seien sie jetzt auch dazu gezwungen, Songs zu spielen, die es eigentlich noch gar nicht gibt. Doch auch das kommt gut an – falsch machen können die fünf Musiker sowieso nichts mehr, Winti ist ihnen schon längst verfallen.
Nach einem anständig langen Set verlässt die Band die Bühne, welche mit allerhand Grünzeug, inklusive sich drehender Palmen, ausgestattet ist. An der hinteren Wand hängen leuchtende Buchstaben – V W L – welche gemeinsam mit der beeindruckenden Lichtshow der Scheinwerfer die optimale Ergänzung zum musikalischen Teil des Konzerts geliefert haben. Dieser musikalische Teil bleibt natürlich auch noch zu erwähnen, denn musikalisch haben die fünf Berliner einiges auf dem Kasten. Da teilt man sich auch mal das Instrument und rennt quer über die Bühne, um im richtigen Moment wieder die passenden Beats rauszujagen. Obwohl die Band bereits anderthalb Stunden gespielt hat, lässt sie sich nach einer kurzen Pause zurück auf die Bühne rufen. Sänger Matthias spielt erst alleine auf der Akustikgitarre einen Song an, danach geben sich auch die anderen Musiker noch ein letztes Mal die Ehre, bevor sie definitiv die Bühne verlassen und den Anwohnern ihre Nachtruhe schenken.
Parallel zu diesem Konzert spielten die Schweizer Pätschwerk auf dem Kirchplatz. Doch wie immer muss man sich leider entscheiden, welches Konzert man besuchen will, hier zog der muntere Gipsy des Quartetts leider den Kürzeren.
Während auf den grossen Bühnen Feierabend ist, fängt das Programm in der Sahara Bar und im Albani gerade erst an. Die Bikini Girls dröhnen laut aus der heissen und gut besuchten Sahara Bar, im Albani wird mit Stefanie Stauffacher Schweizerdeutscher Schrummelpop gespielt. Wie sich auf dem Programmfoto erahnen lässt, deckt Poetry Slammerin Lara Stoll den weiblichen Anteil des Duos ab. Der Andrang ist gross, die Darbietung scheint sich zu lohnen.
So ist das Ende des ersten Abends der 43. Winterthurer Musikfestwochen noch in weiter Ferne – zumindest für diejenigen, die noch immer munter auf den Beinen sind und sich nicht der Vernunfthalber auf den Heimweg gemacht haben. Ist ja schliesslich erst Mittwoch, wenn man das jetzt anderthalb Wochen so durchziehen will, dann braucht es ganz schön Durchhaltevermögen.
Text: Sarah Rutschmann
Bilder: Berend Stettler