Warum Musik? Wieso Konzerte? – Folge drei
Die Wolken waren nur kurz weg, aktuell sieht es sogar düsterer für die Kulturszene aus als zu Beginn des Jahres. Der Lockdown verhinderte im Frühling das kreative und kommerzielle Schaffen, Häuser und Clubs wurden geschlossen, Tourneen abgesagt. Nach einer kurzen Atempause steht die Schweiz wieder an demselben Punkt – die Regeln und Vorschriften verunmöglichen den Alltagsbetrieb.
Aber warum ist Musik denn wichtig für uns Menschen und die Gesellschaft? Wieso ist es falsch auf Kultur verzichten zu wollen? Und was bedeutet es für die Szene Lieder zu hören, zu spielen und Konzerte zu erleben? Wir haben nachgefragt und bieten in der neuen Beitragsreihe einen positiven Rundumblick über unser klingendes Land. Mögen wir nie verstummen, mögen die Lichter wieder scheinen.
Rudy Kink
Sixteentimes Music, Artist Management | sixteentimes.com
Foto: rk
„Zwischen all dem Chaos, den vielen Diskussionen, Meinungsverschiedenheiten und der allgemeinen Verunsicherung kommt immer wieder dieselbe Frage auf: Warum? Warum nicht einfach auf Kunst und Kultur verzichten, einen Grossteil der Ängste aber auch Kosten vorneweg nehmen, umstrukturieren, die ganze Sache begraben, bis sich alles wieder beruhigt hat? Weil gerade die Kultur uns zu dem macht, was wir unweigerlich sind: Menschen. Musik, oder in diesem Fall insbesondere Live-Musik bringt Menschen dazu, sich auf weit entfernte Ebenen zu begeben, Emotionen zu erleben, oder sich einfach wohl und glücklich zu fühlen. Auf das will niemand verzichten.
Damit dies nicht nötig wird, gibt es diverse Optionen, um die Flamme am Leben zu erhalten. Restaurants, Bars, Clubs, Lokale, Artists und Kunstschaffende zu unterstützen. Ein Bierchen zu viert ist erlaubt. Das Essen direkt beim Restaurant bestellen und gleich selbst abholen, die Vinylkollektion komplettieren und anstelle des staatlichen Radios eine der vielen lokalen Playlists einschalten. Die gekauften Tickets nicht zurückerstatten lassen und alsbald wieder vermehrt Shows möglich sind, hingehen! Falls es Kultur in einem ähnlichen Rahmen wie vor dem März 2020 zu retten gilt, dann jetzt.“
Ayumi Kagitani
Artist management, KAGITANI music management | kagitani.com
Co-Producer, Match&Fuse Switzerland | matchandfuse.ch
Foto: Jean-Marc Guélat
„Ein Live-Konzert ist für mich wie ein Zauber. Es führt mich von der Alltags- in die Vorstellungswelt. Die Verbindung zwischen Publikum, Musikern, Licht- und Tontechnikern, Veranstaltern, Venues und mehr, all diese Elixiere fusionieren miteinander und lassen diesen magischen Moment passieren. Etwas, das man mit digitalem Streaming nie fühlen kann.“
Manfred Müller
Mitarbeiter Musikzeitung Loop | loopzeitung.ch
„Musik gehört zu meinem Leben. Schon seit der Kindheit, als ich verbotenerweise die Schallplatten meiner grossen Brüder im Versteckten anhörte, weil sie ihr Vinyl als «nicht kleiner Bruder»-tauglich hielten.
Musik verbindet. Viele Menschen habe ich an Konzerten oder im Zusammenhang mit Musik kennengelernt. Ohne sie wäre meine Welt eine öde. Musik, Konzerte, Kultur bringen Menschen zusammen, die sich ansonsten vielleicht nie treffen / kennenlernen würden. Musik befreit die Seele und kann Gefühle auf den Punkt bringen. Musik ist wie Wasser (fürs Gemüt). Ohne droht der Tod.
Gerade in schwierigen Zeiten hilft Musik den Blick zu öffnen, Gefühle zu ertragen / auszudrücken. Aber auch zu spüren, dass man nicht alleine ist, dass andere dasselbe empfinden und zu einem gemeinsamen Ausdruck bringen. Kunst, Kultur, Musik ermöglicht vielen Menschen eine sinnvolle, erfüllende Erwerbsbasis. Aber vor allem anderen etwas «Schönes» zu geben. Ohne Kultur ist die Welt eine langweilige, nicht erfüllende.
Damit sich unsere Gesellschaft mit sich und uns allen auseinandersetzen kann braucht es Kulturbetriebe, Kulturschaffende, Kulturkonsumierende und: Kulturförderung.“
Eliane Hofstetter
Kommunikation, Promo für INOX Live und One of a Million Musikfestival | inoxlive.ch | ooam.ch
Foto: Fabjola Biraci
„Musik ist für mich ein Teil des Alltags und gleichzeitig Alltagsflucht. Sie ist Inspiration, Katalysator für Emotionen, Konstante und Begleiterin. Ob als Hobby, beim Planen und Promoten von Konzerten, oder als Gast mitten in der Menge. Musik, insbesondere live gespielt, bedeuten ein Moment Eskapismus, ein Leben im Moment. Alle im Raum erleben etwas Einzigartiges, ein kollektives Loslassen und eine Glücksseligkeit.
Dieses Gefühl, dieses Erlebnis will ich nach aussen tragen, Musikliebhaber*innen verbinden und Livemusik eine Stimme geben. Deshalb engagiere ich mich in der Szene. Besonders jetzt wäre es wichtig, die Konzertkultur am Leben zu halten. Musik tut der Seele gut, sie überwindet Grenzen und Barrieren, besonders jetzt brauchen wir das. Die hiesige Musikszene ist wahnsinnig vielfältig, besonders was Newcomer*innen anbelangt. Gerade für diese ist eine lebendige Konzertkultur essenziel und haben nebst den kleinen Venues momentan die grössten Probleme. Es darf nicht passieren, dass die Konzertkultur im Stich gelassen wird, damit würde die Vielfalt sterben. Ohne Livemusik fehlt ein wichtiger Teil unseres Alltags: die Möglichkeit, diesen für einen kurzen Moment hinter sich zu lassen.“
Chris Fox
Musiker | L’Âme Immortelle, Shiv-R, Sündenklang
Management und Booking Gothwerk | Gothwerk
Vorstand OX Kultur – OXIL & Schwarz.Ton | oxil.ch
Foto: Cécile Hautfeuille
„Ich wurde gebeten, etwas Positives zu schreiben, generell für meine Natur eine Herausforderung. Das auch noch in der aktuellen Zeit. Was für den jeweiligen Menschen Musik wie Livekonzerte ausmachen, ist für diejenigen sehr individuell. Da kann ich nicht für andere sprechen, möchte ich auch nicht.
Für mich sind es die nicht sichtbaren Konnektivitäten unser aller Seelen und Emotionen im Moment. Wie der erste verliebte Kuss, nur das dieser niemals endet. Die herausfordernde Kunst, alle daran teilnehmenden Lebewesen in Raum und Zeit zu einem Ganzen zusammenzufügen und auf eine undefinierte Reise zu gehen, sei es für Sekunden, Minuten, Stunden. Sich in Gedanken und Emotionen sinnieren und in Körpersprache – auch Tanz genannt –auf die eine oder andere Weise auszudrücken, ohne Diskrepanz und gesellschaftlichem Ausschluss.
In der aktuellen Zeit erleben wir aber alle eine Art Apokalypse. Eine längst heraufbeschworene Zeit, welche sich viele sinnlich doch gewünscht hatten? Nun wurde sie Realität. Leider waren die Wenigsten jemals darauf vorbereitet. Doch sehe und erkenne ich durchaus die positiven Aspekte darin. Der Stellenwert unser aller Kunst wird nach der Krise, so hoffe ich, an Stellenwert gewinnen. Durch die Moderne wurde Kunst und Kultur fast zur «Billigware» und einer Art Selbstverständlichkeit, deklariert durch Überfluss. Die aktuelle Zeit zeigt und beweist uns aber, hier ist überhaupt nichts selbstverständlich.
So hoffe ich nach der ganzen Eskalation einen Aufschwung der Wertschätzung zu erkennen, mit allen involvierten Menschen und dadurch stärker wahrgenommen zu werden, vorausgesetzt: Gewisse „Selbstverliebtheiten“ und Arroganz der Schweizer Kulturszene kann beiseite gelegt werden.
Eines ist zu 100% sicher, geschätzte Kunst und Kultur: Wir alle (und damit meine ich alle) gehen dahin zurück, wo wir vor Jahrzehnten begonnen haben. In den Keller! Ob das nun gut oder schlecht ist, kann jeder für sich entscheiden. Ich erkenne durchaus viele positive Aspekte darin.“
„Neue Wege entstehen, indem wir sie gehen“. (Friedrich Nietzsche)
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Zusammenstellung: Michael Bohli