22. März 2017
Schüür – Luzern
Bands: URSINA / Serafyn
Ein musikalisch gefühlsschwulstiger Abend. Klingt ja erst mal langweilig. Doch wenn man sich auf die vorgegebene Stimmung einlässt und Haut und Haar und Seele voll Inbrunst teilnehmen lässt, entsteht ein kurzer intensiver Genussmoment. Ich schnappe mir ein Glas des schwersten Rotweins, vergesse die beschwerliche Anreise und denke (noch) nicht an die vermutlich viel aufreibendere Rückreise, lehne mich zurück und fange an, das auf der Bühne Geschehende zu absorbieren.
Serafyn haben ihren Ursprung in der Strassenmusik, obschon man ihnen das auf den ersten Blick nicht ansieht. Drei junge Frauen erstrahlen in lieblichem Gesang, geflankt von zwei Cellos, einem Kontrabass und dezenten Drumparts. Da sind gestrichene Klanglandschaften, welche die sirenengleichen Arien verzieren. Oder sind es doch die Stimmen die die zarten Saiten umrahmen?
Unmöglich dies zu sagen. Wie ein Ölgemälde in dem sich tausend Nuancen zu einem grossen Ganzen verschmelzen, lassen Serafyn mich teilhaben an ihrem Gesamtkunstwerk. Sie sind still, leben hie und da nur von dem einen Ton. Werden lauter, singen staunend übereinstimmend und nehmen mich mit, nach einem voluminösen Streicherintro „from here to the Netherlands“. Schon fast überfüllt scheint’s, wenn dann noch ein punktgenaues Xylophone sein klingendes Solo einbringen will. Vielleicht ist es zu viel Rauch für ein kleines Feuer, wie Serafyn selbst singt. Doch wenn der sich erst dunstig im instrumentalen Klanggeflecht verzieht, schmilzt unter der Wärme der akustisch aufflackernden Flamme schliesslich auch der ultimativ Hartgesottene beim letzten Song dahin, welcher nur begleitet von Kontrabass, Akustikgitarre und Cajón, Gänsehautgekrönt abschliesst. Da sind sie die Strassenmusikerwurzeln.
URSINA, Part zwei des heutigen Doppelkonzertes, ist elektronischer unterwegs, doch nicht minder gefühlvoll. Irgendwo angesiedelt zwischen Singer-Songwriter, Folk und Pop, mit ungewohnten Einflüssen, des Omnichords, beispielsweise. Es sind diese versteckten, melodischen Süssigkeiten die Laune machen. Ich vergesse mich im Genuss der instrumentalen Phasen. Fliege davon, weil’s auf dem Boden zu schwer wird. „La Verdad“ soll genau dies vermitteln. Was mir auffällt, URSINA hat zwei Gesichter. Da ist die romanische Sängerin. Die Sursilvanerin, die mit unglaublich viel Feingefühl und Herzblut singt. Irgendwie möchte ich sie mit Julieta Venegas verwechseln, warum?
Singt URSINA Rätoromanisch, zaubert sie, fühle ich mich geborgen, zuhause. In ihrer Stimme ist Heimat gebettet, eingenistet in wohliger Bitterkeit, doch nicht jener die traurig macht. Singt sie Englisch ist es anders. Das ganze scheint ironischer, fröhlicher und verspielter, nicht minder wunderbar, gleichwohl distanzierter und obwohl mir beide Seiten gefallen, verfalle ich dem romanischen in erschreckender Schnelligkeit.
Die stummen Klänge, die schlanken Riffs, die dezent pompöse Instrumentalisierung, all das verbindet URSINA & Serafyn und auch wenn sie alleine doch unterschiedlich sind, so stelle ich mir vor wie es sein könnte, stünden sie denn zusammen auf der Bühne? Ich denke es sähe nicht nur geschrieben gut aus.
Text: Sebastian Leiggener