9. Oktober 2019
Rote Fabrik – Zürich
Bands: Touché Amoré / Deafheaven / Portrayal Of Guilt
Die Spiegelungen auf dem Asphalt vor der roten Fabrik zeigten das Aufglühen von Zigaretten, vorbeihuschende Schatten. Wirklich gemütlich fand es an diesem Mittwochabend wohl niemand, vor der Aktionshalle zu stehen und sich von Wind und Regen berühren zu lassen. Aber für warme Streicheleinheiten war man nicht aufgekreuzt, an diesem Konzertabend ging es um das kollektive Leiden und die harte Erlösung: Drei Bands aus Amerika luden das Publikum dazu ein, mit brutaler Musik die Schönheit des Lebens zu ergreifen. Vorhang auf für Touché Amoré, Deafheaven und Portrayal Of Guilt.
Nicht für wenige überraschend, wurde der Abend von einem Quartett eröffnet, das erst seit 2017 gemeinsam unterwegs ist. Portrayal Of Guilt aus Austin, unterstützen die beiden Schwergewichte auf dieser Europatour und holten bereits mit den ersten Songs weit aus. Der Hardcore-Punk kam ohne Gnade, dafür mit ambientartigen Zwischenspielen. Wenige Takte, viel Geprügel, vor allem von Schlagzeuger James Beveridge, der wie ein Teufel auf seinem Instrument wütete. Immer wieder versanken die Lieder im Screamo, Raum zum Atmen erhielt man erst nach dem hingeschmetterten Auftritt.
Fast unwirklich lang kamen einem die Songs von Deafheaven danach vor, wobei ja klar war, auf was man sich einliess. Seit „Sunbather“ aus dem Jahre 2013 ist der Blackgaze aus San Francisco in aller Munde und die Gruppe bewies in Zürich erneut, dass mit gewisser Intelligenz sogar aus dem erbarmungslosen Geballer des Black Metal eine wunderschöne und ergreifende Sicht auf das Leben herauswachsen kann. Der „Black Brick“ am Anfang des Konzertes, mit Gekeife und destruktiven Riffs der brandneuen Single, ewige Passagen von Lärm und dann plötzlich – die Post-Metal / Post-Rock-Einschübe, einzelne Gitarrenmelodien, schwelgen im Klang.
Das aktuelle Album „Ordinary Corrupt Human Love“ stand im Zentrum des Sets, Deafheaven nahmen sich aber Zeit, in die Bermuda-Gebiete vorzudringen und beendeten ihren lauten und betörenden Auftritt mit dem grossartigen „Dream House“. Man spürte die Lichtpunkte, welche von der riesigen Discokugel auf der Haut auftrafen, förmlich in seinen Körper eindringen, zusammen mit den, noch während der Pause im Ohr dröhnenden Klängen.
Und als Abschluss die Kumulation, die befreiende Ekstase. Touché Amoré liessen uns endlich wieder mit ihrem Post-Hardcore all unsere Leiden und Schwierigkeiten in der grossen Gruppe bekämpfen. Zum Jubiläum ihres Debüts „…To the Beat of a Dead Horse“, welches nun bereits seit zehn Jahren immer wieder von neuem explodiert, liessen die Mannen aus Los Angeles die ersten elf Songs des Sets innert wenigen Minuten vom Stapel. Wildes moshen, gemeinsames Schreien, einzelne Stagediver – nicht nur Frontmann Jeremy Bolm spürte, dass Zürich bereit war, das Innerste offenherzig darzulegen und gemeinsam mit der Musik zu überstehen.
Alles an diesem Konzert war intensiv, roh und emotional. Touché Amoré rissen das Fleisch von unseren Knochen und schrien mit ihren Liedern Nachrufe in unsere Gehirne. Es musste Schmerzen, denn wie die persönlichen Geister auf „Stage Four“ war der Auftritt ohne Kompromisse, ohne Versteck. Ein Wechselbad aus positiven und bedrückenden Momenten, ein gesamtes Leben komprimiert in einem Hardcore-Konzert. Auf dem Weg nach draussen glühten nicht nur die Kippen.
Text: Michael Bohli