12. Juni 2019
Kaserne – Basel
Teilnehmer: Ernesto Chahoud / Neal Sugarman / René Pulfer
Website: ineverread.com
Während sich im Bereich der Basler Messe wieder einmal die reichen und gefeierten Künstler bestaunen lassen, widmet sich das Kasernenareal den Nischen, dem Untergrund. In der grossen Reithalle findet diese Woche die Art Book Fair I Never Read statt, ein grosser Markt voller wunderschöner Druckerzeugnisse aus aller Welt. Bildbände aus Asien, edle Notizbücher aus England, Magazine aus Südamerika – das Sammler- und Hipsterherz hüpft. Wobei es für Kunst- und Musikinteressierte sehr wohl Highlights zu entdecken gibt: Schicke Prints, edle Vinylausgaben und die separate Ausstellung I Never Hear zu Sonderheiten aus der Plattenwelt.
Am Mittwochabend wurde die kleine Schau von Künstler René Pulfer, welcher die Auswahl zusammengestellt hatte, präsentiert. Zwischen alten Postkarten von Marcel Duchamp aus dem Jahre 1935 und dem neuen Album „Das Typische Ding“ von Die Tödliche Dosis traf man auf Kraftwerk, Damian Hurst, Wolfgang Tillmans und David Lynch. In Schaukästen ausgelegt und wundervoll – diese Covers und Verpackungen lassen einem die kleinen Auflagenzahlen und das Wort „vergriffen“ lauthals verfluchen. Als Trostpflaster durfte man daneben in Plattenkisten wühlen und beim Label Taxi Gauche aktuelle Scheiben von Annie Taylor, Tesla Death Ray und Konsorten erstehen.
Um den ersten Abend dieses langen Kunstwochenendes gebürtig zu feiern, wurden Vinyl-Sammler und DJ Ernesto Chahoud aus dem Libanon und Neal Sugarman, Musiker und und Labelbesitzer aus Amerika, zu einer gemeinsamen Diskussionsrunde geladen. Weltoffen und vielschichtig beim Talk Vinyl, über Produktion und Präsentation – wenn auch die beiden Herren das Gespräch immer wieder vom eigentlichen Thema abdriften liessen und sich in ihrer Leidenschaft verloren. Wobei dies bei Vinyl-Nerds logisch ist, können schon kleine Stichworte wie „Label“ ganze Erinnerungsfluten auslösen.
So begab man sich auf eine kurze Zeitreise in die glorreichen Jahre von Beirut, in der nicht nur die Stadt zu einem offenen Schmelztiegel wurde, sondern die Musikindustrie mit einer unendlichen Anzahl an Wiederveröffentlichungen von westlichen Künstlern, absurden Sonderpressungen und sehr freizügigen Covermotiven glänzte. Ernesto Chahoud erlebte dies, denkt immer noch gerne an diese Jahre zurück und liebt die Soul- und Funkmusik der damaligen Zeit. Wie auch Neal Sugarman, welcher genau diese Genres bei Daptone Records wieder mit neuem Leben einhaucht, und somit beide zur Behauptung brachte, neuere Genres und Trends seien durch Sammler und Kuratoren wie ihnen entstanden.
Gäbe es kein Deep Funk oder House ohne Leute wie diese zwei Herren? Oder ist das nur der Grössenwahn der eigenen Nische? Für eine abschliessende Antwort harrte die Diskussion zu wenig lange beim Thema aus und wurde in Richtung Jukebox-Singles und deren Labelgestaltung gesteuert. Fachspezifischer ging es praktisch nicht, aber genau wegen solchen Eigenheiten und Details mag ich Veranstaltungen wie den Talk Vinyl. Mit Anekdoten gespickt und voller, bei sich selber bereits festgestellten Marotten, um schlussendlich doch in der modernen Zeit und dem Streaming zu landen.
Ja, es hätte runder und fokussierter diskutiert werden können und ja, das eigentliche Hauptthema wurde zu schnell fallen gelassen. Aber an einem Mittwochabend zwischen Platten, Bier und Kunstbücher über Vinyl zu plaudern, das hatte eindeutig seinen Reiz.
Text: Michael Bohli