Solothurner Filmtage 2021
Die Heimat Schweiz wird an den 56. Solothurner Filmtage natürlich nicht romantisiert oder verklärend dargestellt. Das Programm bietet vielmehr Einblicke in Themen und Gebiete, welche zu oft im Alltag verdrängt werden oder gar in Vergessenheit geraten. Dokumentar- und Spielfilme füllen diese Lücken und helfen so, die Geschichte unseres Landes in all ihren Facetten – egal ob schlecht oder gut – aufzuzeichnen.
Wir sprechen darum heute über einen brandneuen Dokufilm zum Thema Angst, die viel zu lange verschwiegene Tragödie der Drogenszene im Engadin der Achtzigerjahre und über den ersten Film von Niccolò Castelli, der als Ergänzung zum Eröffnungsfilm Atlas an den Filmtagen läuft. Ein kleiner Einblick in das grosse und geschmackvoll zusammengestellte Programm, ein Anreger für die eigenen Gedanken.
Praktische Informationen:
Die Filmplattform ist online und der Festivaldesk eröffnet: Für sämtliche Online-Filmvorführungen können auf unserer Website ab sofort Tickets gekauft und die Filme reserviert werde. Die Filme sind ab dem Eröffnungsabend am 20. Januar 2021 gemäss ihrem jeweiligen Starttag verfügbar.
Alle Filme starten während des Online-Festivals täglich um 12 Uhr und am Eröffnungsabend um 22 Uhr. Die Filme bleiben nach dem Filmstart während 72 Stunden online verfügbar. Einmal gestartet, bleiben Ihnen 36 Stunden Zeit, um den Film / das Filmprogramm fertig zu schauen.
Das Programm ist aus rechtlichen Gründen nur in der Schweiz verfügbar.
The Scent Of Fear
Land / Jahr: Schweiz / 2021
Regie: Mirjam von Arx
Furcht und Angst, täglich verspüren wir diese Gefühle und müssen uns damit konfrontieren. Das ist nicht schlecht, sondern ermöglicht es uns Menschen höhere Leistungen zu erbringen, Gefahren zu umgehen und uns selber besser kennenzulernen. The Scent Of Fear untersucht anhand diverser Beispiele diese Prozesse und lässt dazu in Interviews Expert*innen der Wissenschaft, Psychologie und Politik zu Wort kommen.
Mirjam von Arx hat einen vielseitigen Querschnitt zum Thema Angst als Dokumentarfilm zusammengestellt, der leider oberflächlich bleibt. Nicht alle angeschnittenen Punkte werden mit gleicher Intensität behandelt, so bleibt beispielsweise die Therapie gegen Spinnen-Angst nur ein kleiner Input. Die Beweggründe der „Prepper“ spielen keine Rolle, Forschung und geschichtliche Hintergründe sind marginal vorhanden.
Das ist schade, wäre die Thematik interessant und würde zur Reflektion einladen. So aber ist es vor allem eine Clip-Show, die mit dem plötzlichen Auftauchen von Covid-19-Bildern in der Mitte des Filmes irritiert. Ich hätte mir mehr Fokus und Tiefe gewünscht.
The Scent Of Fear läuft vom 22. Bis 25. Januar.
Suot tschêl blau
Land / Jahr: Schweiz / 2020
Regie: Ivo Zen
Website: underblueskies.ch
Der Schmerz benötigt seinen Platz damit er frei sein kann. Die dokumentarische Arbeit Suot tschêl blau versucht dies zu ermöglichen, indem Ivo Zen eine tabuisierte Zeit im Oberengadin neu aufrollt. In den Achtziger- und Neunzigerjahren wurde in der Region von Samedan die Drogenszene immer grösser, viele Jugendliche verfielen dem Heroin. Familien verloren ihre Kinder, Menschen ihre Freunde und Partner. Leider aber wurden diese Probleme nie aufgearbeitet, sondern totgeschwiegen.
Blauer Himmel, viel Schnee, hohe Berge – Zen verknüpft die überwältigende Natur mit den hochemotionalen Schicksalen und sucht weniger eine Erklärung für die damaligen Probleme, sondern bietet Raum. Für Leute, die ihre Sucht überwunden und Verluste erfahren mussten, für Eltern, die ihre Trauer nie kollektiv ausleben konnten. Endlich dürfen Gedanken und Erinnerungen an die Oberfläche. Das ist traurig, aber nötig, das wird mit passender Distanz und ohne Hast erzählt. In den Achtzigern suchte die Jugend nicht nur in Zürich Sinn und Platz, sondern auch in Graubünden – schön, wird dies endlich thematisiert.
Suot tschêl blau läuft vom 23. Bis 26. Januar.
Tutti giù
Land / Jahr: Schweiz / 2012
Regie: Niccolò Castelli
Website: tuttigiu-film.ch
Wenn ein Film mit Reverend Beat-Man im Soundtrack beginnt und später noch The Pussywarmers erklingen lässt, dann ist das Herz der Produktion eindeutig am richtigen Fleck. Bei Tutti giù, der ersten langen Regiearbeit von Niccolò Castelli, kann dies auf jeden Fall gesagt werden. 2012 veröffentlicht, begleitet man drei Jugendliche, die ihr Leben und ihre jeweilige Leidenschaft in Lugano ausleben. Chiara (Lara Gut) ist erfolgreiche Skifahrerin, Jullo (Yanick Cohades) liebt das Skaten und Edo (Nicola Perot) verziert die grauen Wände mit seinen Sprühereien. Doch alle müssen ihre Wünsche und Träume dem harten Test der Realität unterziehen.
Natürlich ist es nicht ganz fair, wenn man den Film mit der neusten Arbeit Castellis vergleicht, beweist der Regisseur bei Atlas nämlich einen ausgefeilten Stil und mehr Sicherheit. Doch Debütwerke sind dazu da, die eigene Stimme zu finden. Erstaunlich ist, dass viele Stellen des Filmes wie eine Hommage an die Neunzigerjahre anmuten. Partys im Skate-Shop, verträumte Gespräche auf Parkdecks, Konzerte in Kellern.
Daneben bleiben die Verknüpfungen der drei Schicksale etwas locker und die emotionale Bindung an die Figuren will nicht immer gleich gelingen – zu viel Drama ohne Anker könnte man sagen. Trotzdem ist Tutti giù ein unterhaltsamer Film, der mit schönen Bildern und überzeugendem Schauspiel aufwarten kann.
Tutti giù läuft vom 22. Bis 25. Januar.
Text: Michael Bohli