Filmbringer / VÖ: 16. März 2023 / Black Metal Gospel
Zeal & Ardor
Text: Torsten Sarfert
Stell dir vor, du treibst dich wieder einmal in diversen Internetchats herum und suchst Austausch und Inspiration für deine Musik. Nach diversen Inputs dubioser Chatpartner:innen lässt dich ein Gedanke nicht mehr los: wie klänge eine Fusion von Black Metal mit Gospel Songs amerikanischer Sklaven? Ein paar neue Songs auf deinem Bandcamp und drei Jahre später, hypt dich plötzlich der „Rolling Stone“, setzt Slash einen begeisterten twitter-post ab und du gehst maximal viral. Du bekommst Konzertanfragen aus aller Welt und solltest dazu – bevor du dich überhaupt kneifen kannst – schleunigst eine Band zusammenstellen. Denn auf dem Roadburn oder Wacken Festival kommt ein Laptop Artist irgendwie nicht ganz so cool.
Ist dir noch nie passiert? Manuel Gagneux , dem Basler Musiker und Mastermind von Zeal & Ardor schon. Und er selbst war mindestens genauso überrascht davon, wie du es wahrscheinlich gewesen wärst. Gagneux – swiss-american mit afroamerikanischen Wurzeln und laut eigener Aussage ein eher introvertierter Typ – soll nun also diesen Black Metal-Gospel Mix hinaus in die weite Welt tragen. Raus aus dem safe space des Wifi-Aufnahmekellers, auf die ganz grossen analogen (Heavy Metal-) Bühnen dieser Welt, deren Fans nicht unbedingt bekannt für ihr Engagement in Bürgerrechtsbewegungen sind. Zumal das Ganze ja eigentlich nur eine Antwort auf eine rassisistische Provokation während des eingangs erwähnten Internetchats sein sollte und nicht Frankenstein 2.0. Gagneux will es dennoch wissen und rekrutiert bierselig unter befreundeten Musiker:innen das live-outfit von Zeal & Ardor. Bereit die Welt zu erobern und Hörnli-zeigend setzt man sich also in den anfangs noch kuscheligen Tourbus und legt erwartungsfroh den Gang ein.
Diese märchenhafte Geschichte haben die Basler Filmemacher Olivier Joliat und Matthias Willi in ihrem Film Play With The Devil – Becoming Zeal & Ardor von Anfang bis zum vorläufigen Ende filmisch begleitet. Sie spürten wohl, dass direkt vor ihrer Nase Musikgeschichte geschrieben werden würde und setzten alle Hebel in Bewegung von Anfang an mit der Kamera direkt dabei sein zu können.
Play With The Devil ist deswegen im Gegensatz zu den meisten Dokumentationen kein retrospektives Werk geworden, sondern begleitet vielmehr die Geschichte von Zeal & Ardor ab Tag Eins und mit erfrischenden O-Tönen. Die Begeisterung der Band überträgt sich unmittelbar auf den Zuschauer und durch das freundschaftliche Verhältnis von Band und Filmcrew entstand dabei ein intimer, amüsanter und spannender Film, für den man auch nicht zwingend Fan des „Black Metal Gospel“ sein muss. Oder gar Satanist.
Ohne den ziemlich gewagten Genremix jedoch, wäre die Geschichte höchstens halb so faszinierend und wahrscheinlich auch nie passiert. Wenn Fans sich wie in Trance das Bandlogo als Brandzeichen auf die nackte Haut brennen lassen und Gagneux als eine Art Messias feiern, nimmt allerdings die Rock’n’Roll Euphorie sowohl beim Protagonisten als auch beim Zuschauer schlagartig ab und man möchte sich schnellstens mit ihm wieder in den Aufnahmekeller verkriechen. Hier wird deutlich was für ein heisses Eisen (sic!) Gagneux musikalisch und auch textlich angefasst hat. In Zeiten in denen kulturelle Aneignung, Cancel Culture und Black Lives Matter grosse Themen sind, offenbart sich die mutmasslich unbewusst geschaffene Brisanz und zeitlose Aktualität dieser Musik. Filmisch flankiert mit krassen Bildern der entsprechenden Ereignisse („I can’t breathe!“) erinnert Gagneux in diesen Momenten an Goethes Zauberlehrling, dessen gerufene Geister sich gerade selbständig machen. Dies wird ebenso behutsam wie schlau auf die Leinwand gebracht und macht aus diesem Film nicht nur eine äusserst sehenswerte Musikdokumentation, sondern leistet zusätzlich einen wichtigen Beitrag zu einigen gesellschaftspolitischen Themen unserer Zeit.
Prädikat: Unbedingt sehen!
„Play With The Devil – Becoming Zeal & Ardor“ wird im Mai 2023 auf dem DOK.fest München vorgestellt. Ein streaming Termin soll demnächst bekanntgegeben werden.
Kinoaufführungen unter www.playwiththedevil.ch