
X-TRA – Zürich
Dienstag, 22. Juli 2025
Text: Torsten Sarfert / Bild: Adrian Portmann
Das hier war kein Abend für schiere Sentimentalitäten. Obwohl im Foyer des Musikcafés dem 12.10.1976 gehuldigt wurde – jenem Tag, an dem Patti Smith zum ersten Mal in der Schweiz spielte. Damals in der Roten Fabrik, begleitet von einem mysteriösen Tränengas-Anschlag und dokumentiert auf einem obskuren Bootleg. Daraus entstand ein Bildband, welcher nun dem erwartungsfrohen Publikum vorgestellt wurde. So lag eine besondere Stimmung in der Luft, die sicherlich durch die inkohärente Zusammensetzung der Besuchenden begünstigt wurde: Menschen von nah und fern, von jung bis alt und in den verschiedensten Ausprägungen, bildeten einen dankbaren, begeisterten und aufmerksamen Resonanzboden für das kommende Ereignis.
Unprätentiös gewandet in Jeans, T-Shirt und Sakko, immer noch mit klassisch zerzauster Mähne und mit einer liebenswerten, wachen Präsenz, die ihresgleichen sucht, betritt Patti Smith mit ihrem Quartett die Bühne und hat vom ersten Moment an die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums auf ihrer Seite. Mit der 50 Jahre alten Punky-Reggae-Nummer „Redondo Beach“ vom Jubiläumsalbum „Horses“ eröffnet sie den Abend, der alles andere als eine Best-of-Revue werden sollte. Stattdessen fanden kongeniale Coverversionen, lyrische Spoken-Word-Einschübe sowie unterhaltsame und informative Kommentare zu Songs und Situationen Einzug in die bunte Setlist. Die quasi-religiöse Atmosphäre, die die immer noch jugendhafte 78-Jährige ganz beiläufig kreierte, bescherte dem Publikum trotz beengter Platzverhältnisse einen Konzertabend, wie man ihn nicht alle Tage erlebt.
Die Coverversionen von Bob Dylan, Steve Earle, den Smashing Pumpkins und Charlotte Day Wilson macht sich Smith in ergreifender Art und Weise zu eigen. So gerät beispielsweise das Smashing-Pumpkins-Cover von „Bullet with Butterfly Wings“ zu einer geradezu körperlich erfahrbaren Version. Obwohl deutlich langsamer als das Original, verfehlen Billy Corgans Worte aus dem Munde von Ms. Smith ihre Wirkung nicht: „Despite all my rage – I am still like a rat in a cage“. Was war denn hier los? Smith schleudert ihre Texte wie Mantren ins Mikro, unterlegt mit sägenden und schneidenden Gitarren. Dazu zieht sie zwischen den Stücken unbeschwert gesellschaftspolitische Parallelen von heute zu vergangenen Zeiten und relativiert diese gleich wieder mit einem Lächeln. Der ganze Mist? Alles schon dagewesen. Und hey: Wir sind ja ausserdem auch noch da. Nur nicht aufgeben. Weil „People Have the Power“, während sich die Band unterdessen in einen psychedelischen Rausch spielt, der Pattis grossen Einflussgebern Jim Morrison und seinen Doors sicherlich einigen Respekt abgenötigt hätte.
Scheinbar mühelos zeigt „The Godmother of Punk“, wie man mit 1800 Menschen eine intime Messe feiert. Ein einziger „Transcendental Blues“ (Titel des Steve-Earle-Covers) im jetzt geweihten X-Tra. Und dann wieder etwas Spoken Word und ein improvisierter, a cappella vorgetragener Publikumswunsch. Auch in den hintersten Reihen ist Pattis Präsenz greifbar. Dies ist nicht nur ein Konzert, sondern eben eine transzendentale Erfahrung. Ein gewisser Ruf eilte den Performances von Patti Smith schon immer voraus, aber etwas derartig Mitreissendes konnte man als Novize sicher nicht erwarten. Natürlich waren Hits wie „Dancing Barefoot“ und das überlebensgrosse „Because the Night“ Teil des Sets und wurden entsprechend gefeiert. Was vom Konzert zurückbleibt, ist jedoch das grosse Ganze. Und das Gefühl, bei etwas ganz Besonderem dabei gewesen zu sein. Kein Konzert zum Abhaken, sondern für einen der vorderen Plätze auf dem ganz persönlichen Erlebniskonto.
Patti for president!

