Jerusalem In My Heart + Surma + Manuel Troller + Bitter Moon
Diverse Lokale – Baden
5. Februar 2019
ooam.ch
Text: Michael Bohli
Dass in unserer Berichtreihe über das diesjährige One Of A Million Festival in Baden der vierte Tag fehlt, das ist nicht redaktionellen Ermüdungserscheinungen zu verdanken, sondern der Programmgestaltung. Der Montag steht für Erholung, Pause und Entspannung. Was eine ganz gute Idee ist, wird nämlich auch im zweiten Veranstaltungsblock das Tempo nicht gedrosselt. Der beste Beweis dafür war der Dienstagabend, der zwar wenige Musikerinnen und Musikern auf der Bühne vorweisen konnte, aber ein abenteuerlicher Stilwechsel nach dem anderen.
Alles begann im umgenutzten Schaufenster in der Altstadt – aus einem leerstehenden Ladenlokal hat die Festivalleitung einen kreativen Raum für Bastler und Künstler geschaffen. Nicht existente Plattencover werden hier präsentiert, kleine Konzerte veranstaltet. So durften sich Bitter Moon beweisen, welche aus Réka Csiszér und Simone Bernardoni von The Pussywarmers bestehen, und ins warme Licht stellen. Im Sommer 2018 als neues Projekt gegründet, zeigte sich das Duo mit satten Bässen und feinen Keyboardmelodien als gefestigt und erfahren. Zwischen betörendem Chanson mit modulierten Frequenzen und elektronischer Raumplanung wechselnd, gab es am Ende des Konzertes sogar noch einen Ausflug in den Italo-Disco.
Völlig entfernt von ausformulierten Stilrichtungen, ja gar von strukturierten Songs, war danach die Begegnung mit dem Luzerner Musiker Manuel Troller. Mit seinem Soloalbum „Vanishing Points“ unterwegs, hat er den Jazz weit hinter sich gelassen und bot alleine mit seiner elektrischen Gitarre ein hypnotisches Gewitter zwischen Noise, Drone und Math-Experimental. Das überforderte nicht nur hartgesottene Musikliebhaber, sondern war eine Abstraktion, ein expressionistisches Selbstportrait. Mit dem zentralen und fast 20 Minuten langen „Wormhole Song“ überwand der Künstler alle motorischen Hürden, der Rest der Darbietung war eine Tour de Force an den Effektgeräten. Das muss nicht gefallen, für mich persönlich war es aber ein klares Festival-Highlight.
Einlullend und versöhnlich hingegen die Lieder von Surma in der Druckerei. Die Portugiesin konstruierte alleine mit Drumpads, Synthesizer und Saiteninstrumenten eine Reise zwischen Schlaflied, entrücktem Eso-Folk und experimentellem Pop. Wie ein kleiner Kobold hüpfte Débora Umbelino hinter ihren Gerätschaften umher und zog innert wenigen Minuten das komplette Publikum in ihren Bann. Lachende Gesichter, wogende Leiber, verzaubertes Lauschen – die Mischung aus lautmalerischem Gesang, hellen Melodien und immer wieder einsetzenden Beats war herzerwärmend – wenn auch ein wenig repetitiv. Trotzdem, man hätte die Künstlerin wohl eher nach Island verortet als in das sonnige Portugal.
Von noch weiter her angereist war Radwan Ghazi Moumneh, der unter dem Pseudonym Jerusalem In My Heart den Dienstagabend im Royal beendete. Sein experimenteller Arabic-Electronica nahm den gesamten Raum ein, liess alle Lichter ausgehen und transportierte das komplette Kulturhaus in fremde Gebiete. Belgeitet von Charles-André Coderre, welcher das Konzert mit seinen 16mm-Filmrollen live erweiterte (auch bekannt von seiner Mitarbeit bei Godspeed You! Black Emperor), wurden die Klangsuchungen zu einem audiovisuellen Erlebnis. Der in Montreal lebende Musiker vermengte Klänge von seinem analogen Synthesizer, seiner Saz und der verfremdeten Stimme zu einer forschenden und exotischen Gestalt. Ein mehr als gebürtiger Abschluss.