2. Februar 2019
Diverse Lokale – Baden
Bands: The Chap / Fell / Fake People / T/O / Raincoast
Website: ooam.ch
Im Gegensatz zu den grossen Veranstaltungen, welche sich im Sommer um die Rekordzahlen und Höchstleistungen streiten, steht das One Of A Million Festival in Baden für den Umkehrschluss. Diese Tage voller Musik besucht man nicht, weil man die Hälfte der angekündigten Bands kennt, sondern weil man das Programm mit Verwunderung und vielen Fragen studiert hat. Aus diesen Gründen ist jeder Tag Herausforderung, Versuch und Überraschung zugleich – was der erste Samstag der diesjährigen Ausgabe mehr als klar bewies.
Mein gewählter Startpunkt mit Raincoast aus Basel war ein sanfter Einstieg, ein schon fast klischeehaftes Stelldichein für die Musikszene in Baden. Leichtfüssige Indie-Pop-Songs, zwischen Sonnenuntergang und merkwürdiger Altherrenkleidung – ja, da strahlten Augen und Herzen der Hipster. Mit ihrer neuen EP „Endless Summer“ bespielte die Gruppe das E-Punkt, holte die Disco ins Dorf zurück und überraschte mit verwunderlichem Gebaren des Frontmannes. Doch für den Mehrwert wollte es nicht ganz reichen.
Abgehoben und fast schon expressiv anders zeigten sich danach T/O aus Strassburg, welche mit ihrer Neo-Psychedelica den Club Joy kaperten. Das schleppende Intro liess zwar Befürchtungen aufkommen, welche die Jungs dann innert wenigen Takten gekonnt wegwischten. Ausgefallene Songstrukturen wurden mit gesungenen Dialogen und Flügen durch das effekthascherische All verbunden. Nicht einmal vor Sir Paul McCartney wurde halt gemacht, und sogleich auch die Bar des Lokals durch den Frontmann bestiegen. Das freute die Anwesenden und auch King Gizzard.
Lachende Gesichter traf man im Anschluss zuhauf in der Stanzerei, in der sich das englische Trio Fake People als Könner der komödiantischen Einlage zeigten. Nicht selten an die Klaubereien der legendären Truppe Monty Python erinnernd, wurde mit musikalisch simplen Mitteln Geschichten erzählt, welche Körper wie Geist gleichermassen ansprachen. Man konnte nur den Hut ziehen, wie geschickt die Mannen von tragischen Vermengungen der Figuren Shakespeares, über melancholische Selfies zum bitterbösen Brexit-Kommentar segelten. Ohne mit der Wimper zu zucken, die Hände immer an Keyboard und Loopgerät. Den aktuellen Zustand des UK wurde in Baden selten so präzise zusammengefasst.
Aber jetzt zu etwas komplett anderem: Fell drangen in die Druckerei ein, verstörten die Besucherinnen und Besucher des OOAM, vergewaltigten Gegenstände zu musikalischen, nein klanglichen Experimenten und liessen die Kunst der Musik schweisstropfend implodieren. Ja, man verstand die verstörten Blicke, man schmähte niemanden für das frühere Verlassen des Saals – aber ehrlich gesagt: Das war grossartig, das war andersartig, das war unartig. Meine lieben Leserinnen und Leser, mit diesem Konzert wurde das Ende der Musik erreicht. Schweizer Simon Berz und Holländer toktek duellierten sich mit erstaunlich tanzbaren Schlagzeugrhythmen, lärmenden Gitarrenläufen und gar Luftballone. Ein ganzkörperliches Erlebnis, ein niemals erhofftes Ereignis an diesem Festival.
Was es für The Chap aus London und Berlin nicht einfacher machte, den Abend im Royal weiterzuführen. Ich Ungläubiger erwartete einen langweiligen Abschluss, ein ordinäres Spiel zwischen Indie und Pop. Aber nein, die Band feuerte den sarkastischen Ofen ein und liess Noise auf Prog prallen, Britpop auf Wahnvorstellungen. Dazwischen lauerten bitterböse Texte, über den Zustand der Welt oder deine Clubnacht – mal ohne Worte, dann wieder scharf ausformuliert. Es traf der „Guitar Messiah“ auf die „Partly People“, der Pogotanz auf die krachenden Takte. Und plötzlich fühlte man sich im Wahn der Zeit nicht mehr so alleine, plötzlich lernte man wieder, die Situation mit Humor zu nehmen.
Mein liebes One Of A Million Festival, das war ein Abend der Sonderklasse, das war bestes Programm. Nie mehr sage ich vor dem Besuch, dass wohl eh nichts Aufregendes passieren werde.
Text: Michael Bohli