12. November 2019
Halle 622 – Zürich
Band: Ólafur Arnalds
Noch nie war ein Publikum so schnell so leise. Noch bevor der erste Ton angespielt, der erste Artist auf der Bühne, gar bevor das Saallicht komplett verschwunden war. So still, dass ein Räuspern schon störend wäre. Diese Stille durchbrach alleine Licht. Wie durch Wasser schien es, brach sich in den sanften Wogen knapp unterhalb der Oberfläche und schwappte hindurch in die von erwartender Spannung umströmte Masse. Erst als der Saal mit dem Licht eins war, erschien Ólafur Arnalds auf der Bühne und setzte sich an den Flügel, welcher sich in der Mitte der zwei Stratus-Pianos befand. Leise, ohne Aufsehens, fast schon schüchtern.
Das Licht schwappt weiter, wird ruhiger. Der erste Ton wird angeschlagen auf dem Flügel. Ein unglaublich sanfter Beginn. Langsam füllt sich die Bühne und wir sehen, neben den Pianos werden uns heute Streicher verzücken. Dann kurze verzerrte, jedoch dezent ausgehaltene, Elektronik und die Streicher steigen in den Reigen ein. Behutsam, so wirkt es, wird der Hörer in die Szenerie eingebettet – zurechtgelegt für diesen Konzertabend. Dann eine Aufnahme, das Publikum soll einen kurzen Gesang abliefern. Das Sonar aus unseren Stimmen wird aufgenommen und verflochten im zweiten Song – wahre Partizipation. Teil sein dieser Musik, nicht nur physisch, sondern als Ganzes, ein wahrhaftiger Moment. Noch während die aufgenommenen Stimmen des Publikums sich hingeben in den Streicher- und Pianotönen, ändern sich die Lichtverhältnisse und die Melodie steigert sich in ein Rumoren. Ein pulsierender elektronischer Herzschlag mischt sich ein wiegt sich geschwängert durch die Halle, ebbt ab. Nur der Geigenklang schleift nach, hauchdünn und zerbrechlich – zurück bleibt wiederum Stille. Ein fulminanter Beginn, ich fühle mich beherzt angenommen und angekommen in Ólafur Arnalds formvollendete Interpretation von Neo-Klassik.
Auf den zweiten Blick spricht das Bühnenbild. Ein Flügel, zwei Pianos. Die von Arnalds entwickelte Audiosoftware soll an diesem Konzertaben hin und wieder im Mittelpunkt stehen. Es handelt sich dabei um ein Wechselspiel von drei Pianos. Eines von Hand angeschlagen, die anderen via Midi-Technologie. Schön für das Auge inszeniert, in dem das Innenleben der Pianos durch Plexiglas ersichtlich wird. So ist jeder Anschlag nicht einfach hörbar sondern mit allen Sinnen zu geniessen. Man geht mit in den Tastenschlag, fühlt die Bewegung des sanft ummantelten Hammers, vollzieht die Pressung der Luft und spürt die Schwingung der Saite, den sanften Druck des Dämpfers. Gleiches gilt für die Streicherklänge. Langsam ziehen sich die Bögen über Metall. Gefühlvolle Reibung des Haares beim An- und Abschwellen, Zupfen und Ziehen. Die Musik ist intensiv und lebendig. Über weite Teile auf das Minimum reduziert ist sie dabei unglaublich simpel und gerade deswegen so wahnsinnig einfühlsam und stark. Weil jeder einzelne Ton beinahe fassbar ist, erfordert dies vom Zuhörer ungeteilte Aufmerksamkeit. Gut sind wir eingehüllt in dieser Woge aus Klang und Licht. Letzteres zwingt, wie die Ränder eines Bildes, alles in seine Grenzen. So wird Arnalds Musik vom glänzenden Lichtkonzept umrahmt und wie eine Kunstinstallation inszeniert.
Geeint wird dieses Konzept der drei Elemente Musik, Licht und Bild von der Melancholie, welche sich hindurchzieht und hin und wieder etwas schwer verdaulich wirkt. Die wenigen ausschweifenden Parts in welchen die Elektronik an Einfluss gewinnt sind rar. Vielleicht aber sollen sich diese ausufernden Augenblicke lieblich verflüchtigen, damit sie sehnsüchtig bleiben.
Das war mehr als nur ein Konzert, denke ich, als ich zurück geholt werde durch das Rauschen des Windes, einer der raren elektronischen Parts. Ich tauche auf aus diesem Meer, das meine Sinne berührt. Der Schlussakt – reine Poesie. Gewidmet der verstorbenen Grossmutter. Sanfte, einsam und allein stehende Pianoklänge zwischen Piano und Pianissimo die irgendwann ganz weit weg beantwortet werden. Die gleichen Töne in derselben Abfolge aus dem Off von den Streichern die die Bühne verlassen haben im Decrecendo sich langsam entfernend. Ein schöner Ausdruck Adieu zu sagen oder aber auf Wiedersehen.
Setlist [Quelle: Setlist.fm]
1. Arbakinn
2. Þú ert jörðin
3. Only the Winds
4. re:member
5. Unfold
6. Beth’s Theme
7. Verses
8. Momentary / Saman
9. Brot
10. Ypsilon
11. Undir
12. Ekki Hugsa
13. Nyepi
14. Doria
15. Near Light
Zugabe
16. Lag Fyrir Ömmu
Text: Sebastian Leiggener
Fotos: Kathrin Hirzel