1. Dezember 2016
Riffraff – Zürich
Film: One More Time With Feeling
Regie: Andrew Dominik
Band: Nick Cave & The Bad Seeds
„Sunday morning, skeleton tree / Oh, nothing is for free / In the window, a candle / Well, maybe you can see“ – Bereits wenn man das neue Album „Skeleton Tree“ von Nick Cave & The Bad Seeds zum ersten Mal hört, spürt man die Schwere, die Verletzungen, die Verzweiflung. Auch Unwissende werden sofort von der Stimmung erfasst und das Album breitet sich wie ein schwerer Teppich über Sinne und Umwelt. Wenn sich dazu noch wunderbar gefilmte Bilder in Schwarz-Weiss gesellen, wird die Wirkung umso stärker. Man erreicht im dunklen Kinosaal neue Ebenen, man versinkt in Emotionen, Klang und Licht.
„And this is the moment, this is exactly where she is born to be / Now this is what she does and this is what she is“ – Andrew Dominiks Film „One More Time With Feeling“ war im September die erste Möglichkeit, das neue Werk anzuhören – in ausgewählten Kinos auf der gesamten Welt. Der Film schlug nicht nur ein wie eine Bombe, sondern begeisterte Kritiker und Publikum gleichermassen – so stark, dass der Streifen nun noch einmal für einen Abend ins Kino kam, in 3D. Auf technische Spielereien kommt es aber hier nicht an, denn „One More Time With Feeling“ behandelt das innerste von Menschen und Künstlern – Trauer, Verlust, Hoffnung, Selbstwahrnehmung.
„They told us our dreams would outlive us / They told us our gods would outlive us / But they lied“ – Arthur Cave – der junge Sohn von Nick Cave – stürzte 2015 von einer Klippe in Brighton aus dem Leben und weg von unserer Welt. Plötzlich steht man als Künstler, als Person anders da und nichts macht mehr Sinn. Wie soll man nach einem solchen Trauma nur weiter machen, gar neue Musik schreiben und aufzeichnen? Der Film greift sanft nach diesen Fragen, fügt Interview-Aufnahmen wie Mosaik in Livedarbietungen der neuen Lieder ein und lässt die Zuschauer alles tief spüren. Caves Suche nach einem festen Grund, einem Ufer und Verständnis. Das langsame Auseinanderbrechen von Warren Ellis, der alles zusammenzuhalten versucht. Die Rat- und Rastlosigkeit von Susie Bick, die sich in Arbeit und Verstecke stürzt.
„Nothing really matters, nothing really matters when the one you love is gone / You’re still in me, baby / I need you“ – Dieser Film schmerzt, er durchbricht deine Schalen und verändert ein Stück Musik für immer. Denn egal wie viel Zeit nach der Betrachtung vergehen wird, egal was alles geschieht – nie wieder wird dieses Trauma vergessen gehen. „One More Time With Feeling“ zeigt uns auf, wie merkwürdig unsere Wahrnehmung von Zeit und Verarbeitung ist – und weiss schlussendlich keine positive Antwort auf die Sinnessuche. Trotzdem, wir haben uns alle gegenseitig, wir haben die Kunst, wie haben die Momente.
„Let us go now, my one true love“ – Das Leben ist wie ein Teich, meist ruhig und glatt. Doch von Zeit zu Zeit durchstösst ein Stein diese Oberfläche und dieser Gegenstand, dieser Vorfall bewirkt Wellen – diese Momente verklingen aber wieder. Ein Trauma wie dieses hier aber bleibt für immer an der Oberfläche und für den Rest des Lebens werden sich die Wellen daran brechen. Unbarmherzig. Untröstlich.
Text: Michael Bohli