14. Juli 2019
Dachstock – Bern
Bands: Neurosis / YOB / Kowloon Walled City
Die schwarzen Wolken waren schon früh auf dem Platz vor der Reitschule in Bern zu sehen, denn praktisch jede Besucherin und jeder Besucher trat mit dunklem T-Shirt, Hosen oder ausdrucksstarken Tattoos auf – da konnten die Wolken noch so böse umherzischen, das wahre Unwetter kündete sich bereits hier an. Und schon bald rumpelte es dann auch böse aus dem Dachstock, der Sonntagabend wurde von drei amerikanischen Metalbands mit viel Wucht an sich gerissen: Neurosis und Freunde feierten den Untergang.
Bereits sehr früh am Abend, zumindest für gewisse Berner Verhältnisse, betraten Kowloon Walled City den Raum und zeigten zu viert, dass auch das sonnige San Francisco eine Portion Sludge verträgt und austeilen kann. Seit 2007 unterwegs, mischt die Gruppe diverse Stilrichtungen in ihre Musik und sorgte im Lokal mit dissonanten Gitarren, energischem Schlagzeugspiel und Geschrei für ein Beben. Zwar wollten die Songs nicht immer gleich zünden und gewisse Übergänge verwirrten etwas mit Leerstellen, dafür begeisterte Bassist Ian Miller mit seinem schweisstreibenden Posing und Spiel und dem Robyn-Shirt. Hinter der ummauerten Stadt befand sich also ein sanftes Herz und somit die Repräsentation eines langsamen Gewitteraufbaus.
Direkt in das Herz des Sturms wurde man ohne Vorwarnungen und Schutzmöglichkeiten bei YOB geworfen. Zu dritt zeigten die Mannen aus Oregon, wie Doom Metal mit Tempo, Energie und Wahnsinn aussieht und anhört. Laut, alles zermahlend und unglaublich fesselnd – es gab nebst mir bestimmt noch mehr Leute, für welche dieser Auftritt das Highlight des Abends darstellte. Sänger und Gitarrist Mike Scheidt liess alles andere als totale Bewunderung gar nicht zu. Er spielte sich mit einem Effektrauschen zwischen Schlagzeug- und Bassexplosionen, wechselte zwischen Gesang und Growls, schwang sein Haar. „Our Raw Heart“ heisst das neuste und bereits achte Album von YOB, eine herzliche Rauheit war in jeder Sekunde zu spüren.
Mit ihren langen Kompositionen füllten sie ihre Spielzeit locker aus – es wurden „nur“ vier Stücke gespielt – und sorgten für hitziges Training der Nackenmuskulatur. Die Temperatur im Dachstock stieg immer höher, draussen entleerten sich die ersten Wolken – die gesamte Natur schien sich dem Toben von YOB zu fügen, als ob alles in einem Tropensturm verschwinden würde. Schnell eine Zigarette, ein Bier, ein Durchatmen – aber der Abschluss war weniger brutal als vermutet. Denn jetzt zeigte sich die Zerstörung, welche bisher hinterlassen wurde, jetzt wurde das Ende besungen. Neurosis aus Oakland betraten endlich wieder Berner Boden, mit dem neuen Album „Fires Within Fires“ und vielen, geliebten Songs aus der Vergangenheit.
Eröffnet wurde der melodische und gewaltige Weltuntergang mit „A Sun That Never Sets“ um alsbald von der Leichenfäule eines „Given to the Rising“ abgelöst zu werden, weiter zurück als zum Jahrtausendwechsel mit „End of the Harvest“ wagte man sich aber nicht. Viel lieber nutzten Frontmänner Scott Kelly und Steve Von Till und ihre Reiter der Apokalypse den Auftritt dazu, das neuere Treiben von Neurosis noch tiefer in unser Gewebe einzubrennen. Schade nur, waren die Folterwerkzeuge nicht immer perfekt geschärft und die Musiker verloren sich etwas in langen Soundflächen zwischen den Liedern.
Was diese schwarzen Ambient-Momente an Tempo aus dem Auftritt nahmen, das ergänzten die extremen Ausbrüche der vereinten Neurosis. Zu dritt am Mikrofon, mit schwankendem Keyboard und schneidenden Gitarren – eine unvergleichliche Mischung aus Atmosphäre, Gewalt und Bedrohlichkeit. Das war erzählerischer als alles Vorangegangene, das war wie ein Aufbäumen eines Urmonsters – und unter dessen Pranken die Ruinen der Gesellschaft der Lügen. Es brannte bis zum Ende, es leerte alle Batterien – und am stolperte mit letzter Kraft in Richtung Zuhause, die Schreie der Verdammten bis im Morgengrauen im Ohr.
Setlist [Quelle: Setlist.fm]
1. A Sun That Never Sets
2. Given to the Rising
3. My Heart for Deliverance
4. A Shadow Memory
5. At the Well
6. Bending Light
7. To the Wind
8. Reach
9. End of the Harvest
10. Stones from the Sky
Text: Michael Bohli