15. März 2019
Old Capitol – Langenthal
Bands: Nathan Gray / SIGI
Gesprochen wurde erstaunlich wenig während diesem Auftritt, zumindest auf der Bühne. Denn nach der Veröffentlichung des Livealbums „Live In Wiesbaden“ hatte ich die Erwartungshaltung, dass der amerikanische Musiker Nathan Gray auch bei seinem Stopp in der Schweiz den Abend nutzen würde, um Langenthal oft und intensiv in sein Seelenleben blicken zu lassen. Im Old Capitol galt ausnahmsweise meist das alte Credo, die Musik für sich sprechen zu lassen – ausdrucksstark waren die Lieder des Künstlers schliesslich schon immer. Kein Wunder, brannte er sich damals mit seiner Band boysetsfire in die Herzen der Menschen, voller Inbrunst und Emotionalität.
Sein Weg war kein einfacher, ob als Mensch, als Kreativer oder als Empath – und das liess uns Nathan Gray mit seinen reduziert dargebotenen Songs im alten Stadtkino immer wieder spüren. Sein Leben ist ein Ringen mit den richtigen Entscheidungen, den alten Geistern und den heutigen Widrigkeiten, welche sich an jeder Ecke auftun. „Leap Year Of Faith“ passte da genauso perfekt rein, wie die neueren Stücke „Burn Away“ oder „Damascus“. Mit nur zwei elektrischen Gitarren und einem Cello gespielt, blickte man auf den Kern der Lieder, auf die minimalistische Wahrheit.
Was beim Soloalbum „Feral Hymns“ noch etwas holprig war, das zeigte sich in Langenthal vor ausverkauftem Hause gereift und gefestigt. Nathan Gray sprang geschickt zwischen den einzelnen Stationen seiner Karriere hin und her, verband die thematischen Linien der Songs zu einer Gesamtheit und war dabei immer authentisch. Tränen liefen ihm über die Wangen, Stücke wurde abgebrochen oder mit bebender Stimme weitergeführt. Nein, viel Fröhlichkeit existiert in seiner Musik nicht, das stellte er auch selber fest. Doch das wiederholende Darbieten dieser Episoden sei eine heilende Wirkung, ein gesunder Weg, in die persönliche Sicherheit zu gelangen.
Kurze Momente des Glücks, des Witzes und immer wieder der ehrlichen Dankbarkeit fanden so Platz im Set. Und natürlich einzelne Ansprachen über den Hass, der in unserer Gesellschaft immer mehr Raum für sich beansprucht. Nathan Gray denkt zwar hedonistischer als ich, zielt mit den Aussagen aber in die gleiche humanistische Richtung, der auch ich zustimme. Nur schade, wird die Grenze des Plakativen immer wieder extrem überschritten, auch an diesem Freitag. Vielleicht würde sich dies besser verdauen lassen, wenn die Lieder sorgfältiger komponiert wären. Aus dem Hardcore kommend, gilt jedoch die Methode mit dem Hammer. Davon scheinen die neuen Lieder der kommenden EP nicht abzuweichen, was die zwei brandneuen Songs bewiesen haben.
Schön zu erleben war es trotzdem, wie sich Herr Gray unablässig gegen alle Schwierigkeiten stellt und versucht, aus uns allen bessere Menschen zu machen. Die Kraft der Musik – sie wirkt immer, auch im Vorprogramm. Der lokale Musiker SIGI eröffnete mit akustischer Gitarre und einem kurzen Set den Abend. Anfängliche Bedenken wurden mit wenigen Takten und fesselndem Gesang weggespült, sympathisch und liebenswürdig zeigte sich der Singer-Songwriter auf der Bühne. Und bot zugleich eine seltene Premiere: „Fuck You“ von Archive als akustisch reduzierte Coverversion, dieser Mann bewies Geschmack und gutes Können.
Text: Michael Bohli