30. September 2019
Werk21 – Zürich
Bands: Mr. Linus / The Meseeks
Viel zu selten gönnt man sich etwas Neues. So auch bei der Musik, obwohl wir alle stolz auf unsere ausgefallenen und offenen Musikgeschmäcker sind, viel zu selten begibt man sich mal an ein Konzert einer Band, von der man noch nie gehört hat. Diesen Montag, den 30. September, jedoch machte ich endlich mal wieder genau das, als im Werk21 die Walliser von The Meseeks und die Bündner von Mr. Linus aufspielten. Und einmal mehr sollte sich herausstellen, dass es sich lohnt, auch mal an einem Montagabend auf Zürich zu gehen.
Als erstes betraten die drei Herren von The Meseeks aus Brig die Bühne und legten unbeschwert mit „Wrong Track, Money Back“, dem Opener ihres ersten Albums „Renegade“, los. Und da ging gleich schon was, eine erfrischende Mischung aus Verspieltheit, Gefühl und Aggressivität, die uns da von den sympathischen Wallisern um die Ohren gehauen wurde. Schlagzeuger Yanni drosch mit einem breiten Grinsen im Gesicht auf die Felle ein, Fredy sprang am Bass wie wild umher und schrie sich die Seele aus dem Leib und Sebi an der Gitarre zeigte eindrucksvoll, dass man auch mit bedeutend mehr als nur den bekannten drei Akkorden geilen Punk spielen kann. Was The Meseeks aber wirklich auszeichnet und von anderen Artgenossen abhebt, ist, dass alle drei sich nicht vor dem Singen scheuen und selbst der Schlagzeuger Yanni ab und zu den Leadgesang übernahm, was die Songs wunderbar abwechslungsreich und vielseitig machte. Zwischen den Liedern zeigten sich die drei Herren von der eher charmanten als aggressiven Seite, alleine schon nur der wunderbare walliser Dialekt war eine Freude. Einen guten Lacher gab es, als Yanni das dritte Lied, „Total Devotion“, einzählte, dann aber auf eins Sebi einen Drumstick an den Kopf warf, worauf alle drei sich vor Lachen wegschmissen. Und es wäre kein Punkkonzert, ginge nicht auch etwas zu Bruch. Leider nur war es diesmal der Bassgurt von Fredy, was zur Folge hatte, dass dieser sich erstmal auf den Bühnenrand setzen musste, um sein Instrument zu flicken, was mit einem „was sind wir professionell“ quittiert wurde. Wie gesagt, sehr charmant. Mit dem fantastischen Song „Reeperbahn“ war es dann leider nach rund einer halben Stunde auch schon wieder vorbei, doch was für ein grossartiges Lied das war. Das wiederkehrende arpeggierende Gitarrenriff liess mein Gitarristenherz höherschlagen und es gaben alle drei nochmal alles am Gesang, womit dieser Song wirklich nochmal alles aufzeigte, was diese Band ausmacht – ein fulminantes Ende zu einem tollen Gig. The Meseeks verdienen viel mehr Aufmerksamkeit und ich hoffe, wir werden auch in Zukunft noch viel von ihnen hören, richtig geile Sache war das.
Nach einem für meinen Geschmack etwas sehr langen Umbau, bei dem während den letzten 15 Minuten auf der Bühne gar nichts geschah, war der heutige Headliner am Start, die Bündner Damen und Herr von Mr. Linus. Die lange Pause trat zum Glück der Stimmung keinen Abbruch, denn auch wenn nur rund 30 Nasen den Weg ins Werk21 gefunden hatten, so war die Atmosphäre doch hervorragend und ausgelassen. Mit „Vongestern“ von der ersten EP „Revue“ ging es los und es wurde schnell klar, dass Mr. Linus keine Band wie jede andere ist. Gitarristin Anna Clavadetscher und Bassistin Rebecca Schelling teilten sich den deutschsprachigen Gesang, wobei Anna eher für die härteren und geschrienen Vocals zuständig war, während Rebecca die etwas melodiöseren Parts übernahm. Unterstützt werden die beiden dazu hervorragend von Dave Hauser am Schlagzeug. Der Sound von Mr. Linus lässt sich nicht so einfach beschreiben: definitiv stark im Punk zu Hause, aber mit einer gehörigen Portion Indie, einer Prise Hardcore und dazu eine ehrliche, emotionale Rauheit und Offenheit, die gleichzeitig erfrischend und verletzlich wie auch manchmal ein wenig bedrohlich wirkt. Ganz im Gegensatz dazu, wie unbeschwert und beinahe schüchtern die Beiden zwischen den Liedern wirken, man war sichtlich gerührt, dass an diesem Montagabend doch ein paar sehr motivierte Leute den Weg hierher gefunden hatten. Mit Liedern wie „Schüsse“ und „Wunder“ von der „Revue“-EP zeigten Mr. Linus eindrucksvoll, wie abwechslungsreich, emotional, hart und ehrlich ihre Musik ist, Sprechgesang-Parts folgen auf donnernde Riffs, furiose Schreie lösen sich in monoton gesprochene Gedankenflüsse auf, in einem Moment hoffnungsvoll und melodiös, dann wieder alles zerstörend heavy und aggressiv, wirklich beeindruckend.
Die hervorragenden Deutschen Texte kamen zwar live nicht ganz so gut zur Geltung, wie auf der EP, die beiden unterschiedlichen Stimmen von Anna und Rebecca wiederum umso mehr, das war wirklich richtig stark. Als dann mit „Suburbia“ von den grossartigen Press Club (die erst vor kurzem auch hier spielten) noch ein perfekt passendes Cover gespielt wurde, hatten Mr. Linus die Leute endgültig fest in ihrem Griff, traumhaft. Die Stimmung wurde auch immer ausgelassener, so dass sich doch tatsächlich auch zwei jüngere Typen dazu bewogen, Crowdsurfing auszuprobieren, was unfassbar süss und lustig anzusehen war, zumal für sowas bei weitem nicht genügend Leute im Publikum waren. Kudos an die paar Typen in der ersten Reihe, die den beiden Jungs da aushalfen. Wirklich ein wundervolles Konzerterlebnis, alle waren gut gelaunt und in gemütlicher Tanzlaune, keine krassen Circlepits oder dergleichen, einfach eine gute Zeit.
Wie es halt so geht, war dann irgendwann bald auch schon wieder das Ende in Sicht und mit „Vor Die Hunde“ und dem gewaltigen „Imaginé“ wurden wir nochmals mit zwei hervorragenden Songs voller Schmerz, Wut, Aggression und Emotionen verwöhnt. Kaum waren sie weg, waren sie auch schon wieder da, denn ohne Zugabe durften auch Mr. Linus nicht gehen, worüber sich auch die Band ausserordentlich freute. Scheinbar konnten sie auf der kleinen Deutschland-Tour im Vorprogramm von Lygo, die sie am Vorabend erst gerade beendet hatten, keine Zugaben spielen, weshalb sie auch keine geprobt hatten. Natürlich liessen sie sich davon nicht abhalten und so gab es in Reminiszenz an die Anfangstage als Acoustic Punk-Duo das tolle „You Don’t Bring Me Down“, welches nur mit akustischen Gitarren und den beiden Stimmen ein besonderer Genuss für die Ohren war. Da ein Punkkonzert aber natürlich nicht auf so einem leisen Ton beendet werden kann, wurde zum Schluss noch „Glass Of Wine“, das allererste Lied, welches Anna und Rebecca je zusammen geschrieben hatten, mit den Worten „eines zum moshen“ angekündet, und dann gingen nochmals wirklich alle ab. Alle drehten durch – was für ein perfekter Schluss, was für ein grossartiges Konzert, was für ein grandioser Abend. Mr. Linus wie auch The Meseeks bewiesen heute Abend beide eindrucksvoll, dass die Schweizer Konzert- und Musikszene so aktiv, divers und qualitativ hochwertig ist, wie noch nie und ich kann allen nur empfehlen, sich diese beiden Bands so bald wie möglich mal auszuchecken und live sehen zu gehen. Mit einem grossen Grinsen im Gesicht machte ich mich daraufhin wieder auf den Nachhauseweg, einmal mehr darüber erfreut, dass es immer noch so viel Neues zu entdecken gibt. What a time to live in.
Setlist [Quelle: Band]
1. Vongestern
2. Und Alles
3. Wunder
4. Suburbia (Press Club Cover)
5. Schüsse
6. Vor Die Hunde
7. Imaginé
Zugaben
8. You Don’t Bring Me Down
9. Glass Of Wine
Text: David Spring