7. Oktober 2018
Dachstock – Bern
Bands: The Melvins / ShitKid
Gewisse Dinge dauern etwas länger, dafür ist das Resultat umso intensiver. Da verlässt man sogar bereits vor zehn Uhr abends glücklich die Reitschule in Bern, auch wenn man sonst meist bis weit in die Nacht hinein in den Räumlichkeiten ausharrt. Aber wenn The Melvins aus den USA zu einem fröhlichen Tanzfest ausrufen, dann wird nicht lange studiert, sondern den Aussagen gefolgt. Dicht gedrängt und wohlig warm standen die Besucher somit am Sonntagabend vor der Bühne des Dachstocks und wollten alle einen Blick auf die schönsten Haare des Noise-Rock erhaschen. Und obwohl die Gruppe bereits seit 1983 unterwegs ist, Buzz Osborne sah immer noch wie mit Perwoll gewaschen und flauschig aus.
Dafür gab es von allen anderen Seiten her schwitzige Riffs, dreckige Takte und experimentellen Punk. Die Melvins zeigten in Bern nicht nur ihr neustes Album „Pinkus Abortion Technician“, sondern auch ihr Beharren auf absolute Narrenfreiheit. Ob Hardcore, Sludge oder wilder Rock – jedes Lied blieb unberechenbar und die Musiker wechselten immer wieder urplötzlich den Stil. Jeff Pinkus und Steve McDonald sorgten mit ihren zwei Bassgitarren dafür, dass alle Kompositionen gehört umgegraben wurden, Schlagzeuger Dale Crover setzte auch kürzesten Leerstellen mit Fillings und wildem Getrommel zu. Lautstärke war das Ziel, Feedback das Königreich.
Somit ernteten nicht nur die heftigsten Attacken von King Buzzos Gitarre den meisten Jubel, sondern auch die verrücktesten Grimassen und kaputtesten Texte. Mit jedem Song steigerten sich die Melvins in ein noch grösseres Extrem hinein und liessen das Konzert nie zur Ruhe kommen. Intensiv und explosiv, da wurmte es auch niemanden, dass kurz nach neun Uhr bereits die Rausschmeissermelodie durch den Dachstock hallte. Dafür wurde man mit einem Höhepunkt belohnt, der alle Trommelfelle zum Klingeln brachte. Für einen letzten Song wurde das Duo ShitKid noch einmal auf die Bühne geladen.
ShitKid, zwei junge Frauen aus Stockholm, begleiten die eher älteren Herren aus Amerika nämlich auf dieser Tour und sorgten auch in Bern als Support dafür, dass man Lo-Fi-Pop-Punk neu überdenken musste. Ein minimalistischer Drumcomputer aus dem Synthie, frecher Gesang, dilettantische Gitarrenriffs und brummelnde Bassläufe – meist gab es nicht mehr zu vernehmen. Im Verbund mit dem Auftrittsgebaren bot sich aber ein Spektakel, das die alternative Musik zwischen Gender-Fragen, Kunstposition und Urreiz versetzte.
Das eher ältere Publikum ergötzte sich an gewissen Formen, die Musikerinnen zerstörten alle Konventionen. Umso schöner also, traten am Ende des Abends alle fünf Gestalten zugleich auf die Bühne, um die restlichen Ebenheiten noch aufzukratzen und jeglichen Schönklang mit den Füssen zu treten. Melvins und ShitKid, alte und neue Generation – vereint im Kampf gegen die Norm und unser aller Wohlbringer.
Text: Michael Bohli
Bilder: Alain Schenk