Datum: 26. Februar 2012
Ort: Volkshaus – Zürich
Bands: Melissa Etheridge
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Vor 15 Jahren war ich das letzte Mal auf einem Melissa Etheridge Konzert. In der Zwischenzeit ist bei uns beiden so einiges passiert. Melissa hat mit ihren Lebenspartnerinnen 4 Kinder bekommen, Brustkrebs besiegt und sich für den Umweltschutz engagiert. Und ich, nun ja, sehe immerhin auch einige Veränderungen zu meinem Teenager-Ich aus den 90ern, als Melissa’s Welthit „Like the way I do“ mich allfreitäglich auf die Tanzfläche meiner Stammdisko trieb.
Pünktlich um 20 Uhr, wir müssen ja mittlerweile alle am nächsten Tag wieder früh raus, betrat Melissa die Bühne des ausverkauften Volkshauses. Mit „Fearless love“ startete die Sängerin mit ihrem nicht mehr ganz aktuellen, aber ungleich präsenten Hit von 2010 das Programm. Es folgte ein Abend voller – und ich sage das nächste Wort mit Inbrunst – Rock.
Als Bühnenhintergrund fungierte ein schlichter schwarzer Vorhang, es gab keine aufwändigen Laser- oder Feuershows, keine irritierende Kostümchen. Stattdessen gab es 100% Musik: authentische Musiker, die mit ihrer Gitarre umgingen, als sei sie die schönste und begehrenswerteste Frau der Welt, sowie die phänomenale Stimme von Melissa Etheridge bei ausgezeichneter Tontechnik. Melissa weiß, mit dem Publikum umzugehen, es in ihren Bann zu ziehen und ihm das zu geben, wonach es trachtet. Bei ihrem Konzert ließ sie keinen Hit aus.
Mehr noch als eine herausragende Live-Performerin ist Melissa Etheridge eine charismatische und sympathische Entertainerin, die in jeder ihrer Ansagen verkörpert: „Hier bin ich, Ihr seht mich so, wie ich bin und nicht anders. “ Diese schonungslose Ehrlichkeit ist so rar in der Musikszene, dass sie den geneigten Konzertgänger schon fast schockiert, tendiert man doch aus Erfahrung dazu, sich vielmehr auf „eine gute Show“ zu freuen als auf den eigentlichen Menschen auf der Bühne. Dieser – und es sei jedem Musiker seine Privatsphäre gegönnt – bleibt dem Konzertbesucher bei den meisten Konzerten doch eher unter der Maske der Show verborgen. Melissa Etheridge hingegen vermittelt ihrem Publikum den Eindruck, ihre Seele kompromisslos zu offenbaren.
Kompromissloser sind auch die Texte von Melissa Etheridge geworden. Während sie Ende der 80er Jahre noch devot herzschmerzte: “ Can I survive all the implications, even if I tried, could you be less than an addiction“ [Like the way I do, 1988], scheint sie aus ihren persönlichen Schicksalsschlägen der letzten Jahre stärker, selbstbewusster und reifer hervorgegangen zu sein. So dominiert zwar immer noch die Liebe als zentrales Thema die meisten Songtexte, doch ihre Herangehensweise hat sich verändert. Sie ist geprägt von Hoffnung, Mut und einer klaren Zielsetzung fürs Leben: „I want to live my life, pursuing all my happiness, I want a fearless love, I won’t settle for anything less“ [Fearless love, 2010]. Geblieben ist ihre schonungslose Ehrlichkeit und Authentizität.
Melissa versprach zu Beginn des Konzertes: „I promise you Zurich, tonight, we gonna make a night to remember!“, und es bleibt nur zu sagen: „Well, Melissa, you did a damn good job!“
Der gestrige Abend bleibt im Gedächtnis – oder besser – im Herzen. Das Konzert zeigte mir, Melissa Etheridge ist mehr als nur die verklärte Erinnerung an meine Teenager-Tage. Sie vermochte es, mir die Essenz der Musik mit einer Ehrlichkeit und emotionalen Tiefe zu vermitteln, die ich bei meinem ersten Konzert von ihr vor 15 Jahren nicht hätte greifen können. Oder vielleicht sind Melissa und ich einfach beide ein Stückchen reifer geworden.
Text + Bilder: Wiebke Kronsbein