11. November 2016
1. Stock – Münchenstein
Band: Mantocliff
Ein Industrieareal in Münchenstein. Wo liegt denn Münchenstein? Nicht einmal sehr offene Basler Stadtkinder wagen sich an die subkulturelle städtische Aussengrenze ins landschaftliche Baselbiet. Dabei ist es nur ein Katzensprung von der übersättigten Rheinstadt ins scheinbare Nirgendwo. Hier stehe ich, an einer verlassenen Haltestelle. Wo um Himmels Willen liegt dieser 1. Stock? Ich kämpfe mich durch Metall am Strassenrand, vorbei an längst stillgelegten Bahngeleisen. Geräusche dringen an meine Ohren, leise pulsierende Beats. Ich folge meinen Sinnen, nehme plötzlich Irrlichter wahr und stehe inmitten dieser stillgelegten Aluminiumfabrik auf einer bunten Terrasse. Zwischen Lichtergirlanden versammeln sich in der Kälte Menschen, trinken Bier, Wein, Club Mate. Ein süsslicher Duft umschmiegt mich, wie so oft an solchen Orten. Der 1. Stock ist eine Bar und ein Clubjuwelchen, dass in der Anonymität der naheliegenden Stadt nur wenig aber, so scheint es, eine exklusive Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ich fühle mich geborgen.
Zugegeben wäre heute nicht Mantocliff angekündigt, dieses Lokal wäre meinem Universum gänzlich verborgen geblieben. Genauso exklusiv, spektakulär-unscheinbar, verträumt und in sich versteckt ist die Musik der Einheimischen. Mantocliff, das sind sphärische Synthesizerklänge, gepaart mit Blasinstrumenten und mit Nives Onori, einer ausserordentlichen Stimmgewalt. Viele Welten kreuzen sich in dieser Musik. In der grossen Klangstruktur des Electronica verpacken sie Trip-Hop, Pop, Ambient und einen Hauch Jazz. Ich schmiege mich vorfreudig in einen der alten Kinosessel. Doch irgendwie scheint der Wurm drin zu sein an diesem Tag.
Leider verzögert sich der Auftakt des Konzerts derart nach hinten, dass Städter wie unsereins, welche immer damit rechnen jederzeit mobil zu sein, schon langsam mit düsteren Gesichtern den Fahrplan studieren. In genau diesem Moment legt sich ein Nebelschleier übers Parkett, dumpfe Tonstrukturen gleiten dahin, Mantocliff betritt die Bühne. Lichtstrahlen durchbrechen das Düster und eine junge, rehscheue Frau verstreut ihren Zauber. Die ersten elektrischen Klänge ertönen, sie fängt an zu singen. Die Stimmlage ist phänomenal, reiht sich scheinbar mühelos in die elektronischen und akustischen Klänge ein, schafft eine Athmosphäre die zum Schweben einlädt. Björk schiesst mir durch den Kopf, nur gelassener, um Längen weniger pompös, um einen Vergleich zu finden. Begeisterung und unbändige Freude macht sich breit im überschaubaren Publikum.
Aber, irgendwie scheint‘s heute nicht zu funktionieren. Plötzlich sackt der Klangteppich ab. „Ui 1. Stock wir haben‘s kaputt gemacht“ spricht Nives Onori und flucht zart. „Passt zu dem Tag heute“ fügt sie an. Nichts geht mehr. Kurze Schockstarre bei Band und Publikum, dann ein dezentes, fast schüchternes Lächeln der Frontfrau. Es scheint, auch die Elektronik kann dem Charme Onori’s nicht wiederstehen. Was die Musik heute im Ansatz nicht schafft und sich hie und da gar verhaspelt, macht Onori mit ihrem Charisma und der tongenauen Stimme wett. Die Elektronik steht für ein Mal im Schatten. Bei den nächsten zwei unplugged Songs dürfen nur Gitarre und Bläser die unbändig starke Stimme begleiten. Wahrlich ein Gänsehautmoment. Sie machen Lust auf mehr. Bitterschweren Herzens muss ich mich aber nach dem melödiösen „Sea Soon“ verabschieden. Es reicht einfach nicht, auf biegen und brechen nicht. Die kulturelle Landflucht lässt ein Verbleiben meinerseits nicht zu. Ich leiste den leisen Schwur diesen Ort wieder zu besuchen und Mantocliff in Auge und Ohr zu behalten. Denn trotz oder gerade wegen der Tonprobleme lassen die wenigen neuen Songs die ich bis hierhin hörte auf eine spannende und experimentelle Weiterentwicklung schliessen. Vielleicht irgendwann vertont in einem neuen Album dass doch hoffentlich schon bald in meinem Plattenregal stehen wird. Ich wünschte ich könnte länger bleiben und befreie mich aus dem wohlig einnehmenden, mit nur ein paar wenigen Kratzern und Rissen versehenen, Mantocliffkokon.
Text: Sebastian Leiggener