Datum: 10. bis 12. August 2012
Ort: Flugplatz – Hildesheim (D)
Webseite: M’era Luna
Es ist M’era Luna Zeit!
Nach dem erfolgreichen Errichten der „Zelt-Stadt“ wird das M’era Luna Festival 2012 auf dem Flughafen in Hildesheim Drispenstedt mit Lesungen von Markus Heitz, Christian von Aster und Gesa Schwartz eröffnet. Nicht nur für Wort-Fetischisten ein Genuss und der Auftakt einer ersten langen Nacht.
Persönlicher Weckdienst auf dem M’era Luna? Pünktlich um 11 Uhr locken Symbiotic Systems, die Gewinner des Newcomer-Wettbewerbes, das Publikum mit gefälligem Gothic-Rock aus den Zelten. Kurz darauf stellen sich im Hangar Noyce TM mit singender Säge und packenden Projektionen ebenfalls überzeugend vor. Auch wenn eine weite Anreise, eine lange Nacht auf dem Mittelaltermarkt oder im Party-Hangar noch so manchem in den Knochen stecken mag – Auf der Main-Stage schiessen die Invaders mit ihren zackigen Gitarren-Attacken endgültig den letzten Schlaf aus unseren Augen.
Während der heiter bis skurril-punkigen Performance von Grüssaugust um den Violinisten Robert Beckmann sieht man auf der Seitenbühne bereits einige Helme blitzen. Diese gehören zu den Haudegen von Heimataerde, die bald voll bluttriefender Kreuzritter-Romantik auf die Bühne stapfen. Mit einer kleinen Schar von Statisten öffnen sie ein düsteres Kapitel der Kirchengeschichte und präsentieren ihren mittelalterlich gefärbten sehr direkten Electro. Untote Techno-Ritter mit Kunstblut – Nun ja: entweder man liebt es, oder man begibt sich besser auf den strategischen Rückzug in Richtung Shopping-Meile.
Die Letzte Instanz gibt während ihres starken Auftritts einige Mosaiksteine des in zwei Wochen erscheinenden „Ewig“-Albums preis. Sehr vielversprechend! Ansonsten gibt es eine Auswahl an Songs aus den letzten Alben, mit der Holly Loose und seine Kumpanen unter der strahlenden Sonne gute Laune stiften. Trotzdem ist niemand zu Staub zerfallen. Als die Instanz zum Abschluss ihre Zusammengehörigkeits-Überhymne „Wir sind allein“ intonieren, tanzt einer der „Faderheads“ aus voller Kehle mitsingend an mir vorüber. Ein wunderschöner kunter-schwarzer Moment; so verstehe ich dieses Lied! Das Stil-Schubladen-Denken darf zuhause gelassen werden. Das Set, das Faderhead kurz zuvor geboten hatte, war übrigens ein energisches und atemloses Electro-Gewitter, welches das Tanzbein im Mark erschüttert und den Hangar zum ersten Mal so richtig zum Kochen gebracht hatte.
Kochender Hangar: Das ist das Stichwort für Erk Aicrag von Hocico, der hier am Nachmittag sein zweites Projekt Rabia Sorda präsentiert. Und das voller Begeisterung: Mit dem umgeschnallten Kaoss Pad beweist er zunächst durch gekonnte Klangmodulationen, dass er nicht nur die „Röhre am Mikro“ ist, um dann mit Songs wie „Radio Paranoia“ „Out of Control“ zu geraten. Bei der Vorstellung der nächsten Single der Band „Eye M The Black Sheep“ hat Erk sichtlich Spass. So zeigt sich auf dem Gesicht des sonst – ach – so finsteren Gesellen und Berufs-Giftzwerges fast so etwas ähnliches, wie ein Lächeln. Zur Belohnung gibt‘s einen Mini-Mosch-Pit.
Szenenwechel. Diary of Dreams betreten die Hauptbühne. Sehr zum augenzwinkernden Missfallen von Gitarist Gaun:A „müssen“ sie ihre melancholischen Kompositionen von der sinkenden Sonne (!) beschienen vortragen. Und auf keinen der Klassiker muss der geneigte Hörer verzichten: „The Wedding“, „The Curse“, „Kindrom“. Und auch zu „MenschFeind“ fliegen wieder die Fäuste gen Himmel. Ein gotisches Klang-Bad spült über den Flugplatz. Welch Wonne!
Gegen Abend stürmen Subway to Sally die Bühne und verwandeln diese im Handumdrehen in ein Inferno. Sie rufen zur Schlacht und beschwören das „Schwarze Meer“ respektive die Stage-Surfer auf selbigem… Über donnernden Metal-Akkorden erzählt Eric Fish im Folgenden von Eisblumen, gefallenen Engeln und verhängnisvollen Tattoo-Wünschen. Eine brachiale Show der Extraklasse! Während Johan Van Roy von Suicide Commando im Hangar unter „erhängten Leibern“, ebenso kraftvoll, ein Wiedersehen in der Hölle ankündigt, werden Subway to Sally bei ihrer letzten Zugabe im Hinblick auf unseren globalen Kalendereintrag im Dezember noch apokalyptisch. Ehrlich gesagt; ich hätte stattdessen auch lieber das vom Publikum eingeforderte Räuberlied gehört.
Nun kann man sich von diesem ereignisreichen Tag im Shisha-Zelt erholen oder beim „Hau-den-Lukas“ die Kräfte messen. Bis tief in die Nacht bevölkern Spielleute, Feuerkünstler und Marketender den Mittelaltermarkt und Met und Apfelwein fliessen in Strömen. Die Alternative ist der Party-Hangar, in dem der Herzschlag der Szene in aufwendiger Lasershow erstrahlt.
Überhaupt hat das Mera Luna wieder einmal viel mehr zu bieten, als nur die Musik: Die Gothic-Fashion-Town hat geöffnet, CD’s und Merchandise-Artikel sind erhältlich und die Shopping Meile bietet von Kuschel-Trollen und Trinkhörnern über neonfarben funkelnde Gasmasken und Lackröckchen bis hin zu Basketball-grossen Totenköpfen alles, was ein wie auch immer schwarzschattiertes Herz begehren kann. Zudem kann man sich hier professionell tätowieren, massieren oder verkuppeln lassen.
Auch die bewährte Gothic-Modenschau steht ebenso wie die Autogrammstunden wieder auf dem Programm.
Beim Streifen durch die Stände wird man vom Duft orientalischer Gewürze, vielfältigen Räucherwerkes und diverser feinster Speisen verführt. Ein Fest der Sinne! Nur für das Protokoll: Die vegane Reisschale auf dem Mittelaltermarkt entpuppt sich als kulinarischer Headliner des Festivals!
Ein dunkel-elegantes Streichquartett im Hangar statt Frühstück? Eklipse streifen am Sonntagvormittag dunklen Pop-Songs ein Streicher-Kleidchen über. Dabei kämpfen die vier Grazien zunächst mit technischen Problemen und dann als Folge auch noch mit der Intonation. Sie schlagen sich aber tapfer und ernten dafür sehr wohlwollenden Applaus des für diese Uhrzeit zahlreich in den Hangar gepilgerten Mobs. Danach werden die Sequenzer aufgebaut und Absolute Body Control spielt auf, während auf der Main-Stage Lacrimas Profundere für soliden Gothic-Metal sorgen.
Im Anschluss geht es mit Faun auf die Reise durch den blumigen Pagan-Folk-Garten. Gewohnt wortgewandt und sympathisch führt Oliver SaTyr durch das Programm und lädt zum Tanzen und singen ein. Während eines „Abschiedsliedes“ erhebt sich ein kleiner schwarzer Schmetterling und flattert vergnügt in Richtung Mittelaltermarkt.
Was wäre wohl der grösste denkbare Kontrast zu diesen naturverbundenen Blumenkindern? Richtig: „Ich bin aus plastik, ich bin kalt!“ Welle: Erdball gehen auf Sendung. Die elektronische Tanzmusik aus dem Commodore 64 (>32 >23!!!) rollt wie eine gewaltige Welle, deren Brandungsschaum der Begeisterungssturm des Publikums ist, weit über das Festival-Gelände. Noch auf dem abgelegenen Parkplatz kann man den Absturz des „Starfighter F-104G“ mitverfolgen: „Denn Du bist bei miiiiiiir!“
Im Anschluss geben Schandmaul mit gewohnt guter Laune, lustigen Mitmachspielchen und trotz mutterschaftsbedingter Personalveränderungen alles und bringen die Menge mit Meilensteinen wie den „Herren der Winde“, dem „Teufelsweib“ oder der „Walpurgisnacht“ bis ganz nach hinten zum Hüpfen, tanzen und singen. Zum Abschied gibt es den Gänsehaut-Garanten „Dein Antlitz“.
Alsdann schmettert Alexander Wesselsky von Eisbrecher mit viel Humor seine Neue Deutsche Härte auf die Menge herab. Zum Rammsteingefühl fehlt nur das Feuer. Aber auch dafür hat Alexx eine Erklärung: „Zu teuer! So gross wie In Extremo müssen wir erst noch werden. Deshalb gibts erstmal eine kleine Diskokugel“. Zwischen „Amok“, „Die Schwarze Witwe“ und „Herz aus Eis“ bringt er noch einen schweizer Jodler unter. „Was soll das auf einem Gothic-Festival? Keine Ahnung – aber es schadet auch nicht.“ Mit „Miststück“ machen Eisbrecher dann die Bühne für New Model Army frei.
Bevor In Extremo das Festival würdevoll und mit viel – viel Feuer beschliessen, dringt aus dem Hangar das dystopische Stampfen und der eine oder andere Shout-Fetzen von Hocico’s Aggrotech. Man kann nicht überall sein…
Ein kleiner Nachschlag: Ein offenbar zuvor zugrunde gegangener Pavillion wird zum Epizentrum einer Spontanaktion: Es bildet sich ein riesiger Kreis aus Menschen, die mit Stangen, Flaschen und kleinen Bier-Fässchen einen Rhythmus kreieren auf den sich „Mera-Luna-Sprechchöre“ und wilde schwarze Derwische legen. Old School-Industrial! Das war näher an den Neubauten als alle Bands!
Danke allen Musikern, Helfern, Sicherheitskräften, Sanitätern, Technikern, Organisatoren, Gauklern, Händlern und nicht zuletzt den 22 000 Besuchern für ein grandioses M’era Luna 2012!
Text: Dennis Bäsecke