23. Februar 2021
Kammgarn – Schaffhausen
Website: kammgarn.ch
Ganz egal, ob „Munotstädtli“ oder die Songzeile von Dieter Wiesman „Blos e chlini Stadt…“: Schaffhausen haftet der Ruf von Niedlichkeit und verschlafener Kleinstadt an, wie das Rosa dem „Bazooka Bubble Gum“. Im Ausgang, da pilgert man lieber nach Zürich, Basel oder Bern, weil da mehr los ist. Mag sein, Schaffhausen kann aber seit mehr als dreissig Jahren auf eine eindrückliche Musikgeschichte verweisen, die untrennbar mit der Kammgarn verbunden ist. Ursprünglich eine Garnfabrik, hat sich die Kammgarn zum Treffpunkt für Musikbegeisterte aller Art entwickelt. Doch bis es soweit war, musste buchstäblich viel Wasser den Rhein hinunterfliessen. Hausi Näef erinnert sich: „Am Anfang waren es vier Scheinwerfer und eine Bühne aus Paletten.“
Das Schaffhauser Jazzfestival
Man tat sich schwer mit den immer lauter werdenden Rufen nach einem Jugendkulturzentrum. Zu Beginn der Neunzigerjahre stand Schaffhausen nur einmal pro Jahr im Rampenlicht: Das Jazzfestival hatte sich in der Schweiz und dem angrenzenden Deutschland etabliert und Radio DRS strahlte ab dem zweiten Veranstaltungsjahr Konzertaufnahmen aus. Im Zentrum stand immer die Kammgarn als Veranstaltungsort. Die beiden Organisatoren Urs Röllin und Hausi Näef schufen mit dem Festival eine Plattform für den Jazz Made In Switzerland. Sie erkannten früh, dass es an der Zeit war, die Musiktalente im eigenen Land zu fördern. Was für den Jazz gut war, konnte der Musiklandschaft im Raum Schaffhausen nur Recht sein. Vielleicht war es die Wechselwirkung aus Angebot und Nachfrage, dass Schaffhausen mit Die Aeronauten oder The Gardener & The Tree wirklich coole Acts hervorbrachte.
Das Kammgarn als Kulturzentrum
Wenn man zum ersten Mal die Kammgarn als Veranstaltungsort erleben darf, ist man sofort von der unglaublichen Atmosphäre der Halle mit ihrer Galerie begeistert. Die grosse Treppe im Zentrum des Saals verbindet die beiden Konzertebenen und ist gleichzeitig Sitzgelegenheit für eine stattliche Anzahl an Besucher*innen. Industriedesign und Ambiente sind einmalig, hier trifft sich ganz Schaffhausen, ob Jung oder Alt. Hausi Näef war von Beginn an die treibende Kraft hinter dem Projekt. Nicht mit grossen Worten oder lauter Stimme, vielmehr mit unermüdlicher Liebe zum Detail, seiner ruhigen Art und der unglaublichen Musikbegeisterung. Das Kulturzentrum besteht aus zwei Bühnen, die unabhängig voneinander geplant sehr unterschiedliche Geschmäcker ansprechen. Das TapTab bauten die Betreiber zu einem professionell ausgestatteten Club aus, in dem neben bekannten Formaten Platz für Experimente bleibt. Das Veranstalterteam programmiert demokratisch und besteht aus Personen, die selbst Musik, Filme, Texte usw. produzieren und somit nahe am Geschehen sind. Die Kammgarn ist deutlich vielschichtiger konzipiert. Neben dem Jazzfestival wurde durch „Rolli (Roland Fricker) der Folk aus Irland nach Schaffhausen gebracht. Die „Irish Nights“ waren für viele von uns unvergessliche Nächte. Angefangen von einer grandiosen Whiskey Bar über die legendären „Fish & Chips“ bis zur mitreissenden Musik aus Irland und Schottland. Im Kammgarn kamen und kommen alle auf ihre Kosten; ob Chansonnier Michael von der Heide, Punklegende Nina Hagen, Sir Bob Geldof oder Zeal & Ardor, sie waren alle da.
Hausi Naef – der Gastgeber
Hausi Naef vom Kammgarn ist ein Mensch, der sich um das Wohl seiner Gäste kümmert. Beim Betrachten einer Gästeliste etwa fiel ihm auf, dass Billy Cobham zusammen mit seiner Frau eingetragen waren. Kurzerhand organisierte er einen Extratisch, stellte eine Flasche Wein bereit und überraschte Billy, den wohl einflussreichsten Schlagzeuger des Jazz der Neuzeit. Unnötig zu sagen, dass Billy später ebenfalls im Kammgarn auftrat. Hausi Naef lebt für die Kammgarn, sie ist sozusagen seine zweite Heimat. Er parkt vor dem Kulturzentrum mit seinem roten „Döschwo“, der standesgemäss am Heck mit „Kammgarn“ beschriftet ist. Über Musik kann man mit ihm stundenlang diskutieren, ist diese nicht nur sein Business, es ist seine Passion. Er ist an jeder Veranstaltung da und bleibt dennoch unauffällig im Hintergrund. Mehr zu ihm und Pascal Bührer erfahrt ihr in unserem Interview.
Text und Bilder: Christian Wölbitsch