9. Juli 2019
Rote Fabrik – Zürich
Bands: Jonathan Wilson / The Night Is Still Young
Er habe ja schon in Zürich gespielt, aber nicht direkt am See, neben schönen Bäumen. Sondern irgendwo dahinten. Und dieses „irgendwo“ wurde am Dienstagabend bei Jonathan Wilson nicht nur unwichtig, sondern zu einer allesumfassenden Bezeichnung für das Leben ausserhalb des kollektiven Glücks in der Musik. Der amerikanische Künstler besuchte mit seinem neuen Album „Rare Birds“ nicht nur die Seebühne der roten Fabrik, sondern nahm alle Anwesenden auf eine schwelgerische Reise in den Folk-Rock der Vergangenheit mit. Sehnsucht, Verliebtheit, Abenteuerlust und Zufriedenheit – dieser Auftritt war wie ein Hormon-Cocktail.
Genauso rund wie die Gläser seiner Sonnenbrille war der gesamte Abend, wurde auf mehrere Weisen der Kreis geschlossen. Geschickt die Programmierung durch die Veranstalter, welche den Basler Musiker Marco Naef mit seiner Band The Night Is Still Young als Vorgruppe gebucht haben – schrieben wird bereits in der Kritik zu seinem neusten Album „Universal Boundaries„: „[Er] beweist bereits mit dem einfühlsamen „Release The Pain“, dass wir hierzulande auch ohne Jonathan Wilson überleben werden.“ Ja, dieser psychedelische und folkige Rock ist so nahe an Amerika, dass die Grenzen zerflossen und Verzicht gab es ja doch keinen.
The Night Is Still Young hatten den Vorteil, als gesamte Band dem Publikum zu Beginn gleich mit voller Wucht den Feierabend zu versüssen. „Here Comes The Sun“ trotzte den Wolken, Lebensfreude floss aus den Gitarren, welche gleich zu dritt die Lieder verzierten. Ein Konzert, das die Landschaft der Schweiz in weite Flächen und lange Strassen verwandelte, mit gehöriger Faszination und emotionalen Ausbrüchen. Das von Pink Floyd ausgeliehene Intro forcierte nicht nur die Verbindungen zu der Vergangenheit, es knüpfte ebenso direkt bei Jonathan Wilson an.
Konnte man den Herrn mit den bunten Kleidern nämlich schon im Hallenstadion als Gitarrist bei Roger Waters bejubeln – an diesem Dienstag wurde die Opulenz aber weggelassen. Wilson kehrte alleine mit seinen Gitarren und dem Keyboard zurück, entschlackte seine Lieder und setzte vollends auf entspannte Atmosphäre und grosse Gefühle. Und diese waren Zuhauf vorhanden, „Sunset Boulevard“ zu Tränen rührend, „49 Hair Flips“ zur Bewegung, „Me“ als fokussierte Selbstbetrachtung. Und wer sein Konzert mit „Loving You“ beginnt, der weiss um die Stärke seines Materials Bescheid.
Die Ausflüge in beide Richtungen des Zeitstrahls, ob in die kommende Zukunft mit einer neuen Komposition von Jonathan Wilson mit den Nashville Cats, oder ein Cover der Siebzigergruppe Quicksilver Messenger Service, waren mehr als willkommen und bildeten den letzten Kreis um diese Veranstaltung. Es waren Stunden, welche von Schwerkraft und Sorgen losgelöst wurden, alle Jahrzehnte durchflogen und die Herzen der Besucherinnen und Besuchern zum Leuchten brachten. Lieber Herr Wilson, bau dein neues Studio doch besser bei uns, dann können wir dir immer zuhören.
Text: Michael Bohli