10. November 2013
Komplex 457 – Zürich
Bands: In Extremo / Hassliebe
Nicht mehr als einen guten Steinwurf vom „Prime Tower“ entfernt, dem lokalen Glasphallus pekuniärer Unfreiheit, treten zwei lautstarke Bands an, der Spiessigkeit den Kampf anzusagen.
Mit vielen Verneigungen vor dem Hauptact beginnen Hassliebe ein buntes Bündel ihres Liedguts zu präsentieren. Das Donauwörther Quintett bietet scharfkantige Riffs, schmetternde Grooves und insgesamt einen angenehm reudigen Sound.
Viele nonverbale Mitsing-Refrains heizen das Publikum vor, welches sogar mitmacht. Überwiegend zügige Songs bringen die zahlreichen Schottenrock-, Metalshirt- und Schwarzkuttenträger in Bewegung und Sänger Matthias Münch surft im Song „Niemandsland“ bis fast zum FOH. Eine sehr engagierte Vorstellung.
Nachdem In Extremo mit dem munter ratternden Titeltrack des neuen Albums „Kunstraub“ gestartet sind ziehen alsbald „in diesem Licht“ die Zigeunermoll-Girlanden der Sackpfeifen und die grob schleifenden Gitarrenfiguren das Auditorium gänzlich in den Bann. Ganze Horden von Musikern beanspruchen heute noch den Status, das Lebensgefühl des Spielmanns – wie sehr dies jedoch insbesondere von In Extremo verkörpert wird, spürt man sofort, wenn Michael Robert Rhein über die Bühne schlurft, das Mikrophonstativ lässig neben sich her ziehend und seine Augen ins Publikum funkeln, heller als jedes Stroboskop. Man folgt ihm gerne, wenn er den Freiheitshymnus „Frei Zu Sein“ anstimmt oder das lästerliche Loblied „Himmel und Hölle“ trällert.
Dann wirds grün; die altdeutschen Verwünschungen und mittelalterlichen Gesänge, die jetzt mit „Herr Mannelig“ in die erste Runde gehen, scheinen neben der klanglichen Differenz auch durch das Lichtdesign vom Rest des Sets abgesetzt und erstrahlen besonders farbenprächtig.
Im Anschluss wird „extra für die zürcher Damenwelt“ die Harfe ausgepackt und „Küss mich“ angestimmt. Das Publikum wird zum Stimmenmeer, das die Band bereitwillig auch durch unbekannte Windungen vieler neuer Songs besonders enthusiastisch aber natürlich über die Wogen des Überhits „Vollmond“ trägt. Ja in der Tat; erstaunlich textsicher erweist sich das Publikum bei den Kompositionen des jüngsten In Extremo-Kapitels. Die „Feuertaufe“ und der „Lebemann“ finden grossen Beifall und auch bei „Belladonna“ giessen die Musikanten aus vollen Eimern Frohsinn und Lebensfreude von der Bühne.
Die ebenfalls neue Ballade „Gaukler“ beweint die scheidende Zunft mit einer ehrlichen Spielmannsträne – nach dem zweiten Refrain positioniert sich ein Clown der zu diesem Lied mit einem Akkordeon die Bühne betreten hatte, noch einmal in der Mitte und tritt nach einem traurigen Blick vielsagend von der Bildfläche ab.
Je länger der Abend geht, desto mehr hat man das Gefühl, am nächsten morgen tatsächlich nicht in das Büro, die Werkstatt oder den Hörsaal zu müssen, sondern die Sonne schlafen zu schicken – als sei ab jetzt wirklich jeder Tag ein Sonntag. Viva la Vida!
Text: Dennis Bäsecke-Beltrametti