17. November 2018
Palace – St.Gallen
Bands: Idles / John
Man entkommt dem Thema Brexit nicht. Und das Problem des aktuellen Medienschaffens ist, dass es grosse und leider oft negative Themen so lange durchkaut, bis man abstumpft und es einem egal ist. Dadurch werden sie alltäglich und sie verlieren ihren Schrecken. Grossbritannien verlässt die EU? Normal. Dabei ist es das eben nicht. Und zwar ist es dermassen wichtig, dass eine Band aus Bristol loszieht und es in Person ihres Frontmanns dem Publikum entgegengurgelt.
Joe Talbot ist kein begnadeter Sänger und seine Band Idles erfindet den (Post-)Punk nicht neu. Aber Joe Talbot weiss, wie man mit Text Wirkung erzielt und seine Band gibt dem Punk die Sporen. Und so galoppieren Idles durch ihre rotznäsigen Songs, klatschen einem dabei die Slogans ins Gesicht und treffen den Nerv der Zeit. Man konnte lesen, Idles seien die Band der Stunde und ein verdienter Auftritt bei „Later with Jools Holland“ kam hinzu. Der Grund für den Erfolg scheint einfach: Ehrlichkeit und eine Haltung, die man momentan in Europa leider vielerorts suchen gehen muss. Besonders gerade in Grossbritannien, das sich freiwillig immer wieder ins Abseits stellt und sich wundert, wenn das Schiedsrichterteam es dauernd zurückpfeift.
Talbot ist ein grossartiger Kerl. Es gibt Personen, die ihn als Gutmenschen oder Waschlappen beschimpfen würden. Er schreibt Songs über eingewanderte Freunde, die er liebt (“Danny Nedelko“) und über seine verstorbene Mutter (“Mother“) – das mit konstruktiver Wut im Bauch, die sich bei Idles auch live als positive Energie entlädt. Es tut gut, eine Band zu erleben, die etwas zu sagen hat und dies so umsetzt, dass man mit dem Gefühl nach Hause geht, es gebe nicht nur Nationalismus und Fremdenhass. Es ist ein anderes Gefühl, als das, wenn man den Fernseher ausschaltet oder sich bei Facebook ausloggt.
Obwohl, man kann schliesslich steuern, was man sehen will und auf welchen Link man klickt. Eigenverantwortung und Selbstbestimmung sind keine leeren Phrasen. Und so kann man sich auf Facebook auch der Gruppe “All Is Love: AF Gang“ anschliessen. Gegründet von einer Idles-Fangemeinschaft. Und wer solche Fans hat, der macht vieles richtig. Da wird ein Idles-Konzert, wie dasjenige im St.Galler Palace, zu einem Ereignis, bei dem keine Empathiediät herrscht. Diese Band hat das Herz am linken Fleck. Nicht vergiftet, sondern weltoffen, selbstkritisch sowie wohlwollend – und tatsächlich: Es ist die Band der Stunde.
Natürlich sollte man dabei nicht vergessen, die tolle Vorband John zu erwähnen. Ein Duo, deren Mitglieder beide wirklich John heissen und deren Schlagzeuger sich nicht nur punktgenau durch ihre Garage-Songs prügelt, sondern mit seiner Reibeisenstimme auch den Weg ebnet für das, was mit Idles folgen wird. Und dann ist da noch dieses spezielle Venue: Ein ehemaliges Kino, das heute als Konzertlokal dient und dem Ganzen einen perfekten Rahmen gibt. Idles werden darin und mit “Joy As An Act Of Resistance“ den Brexit nicht aufhalten können, stellen sich ihm aber mit dem maximalen Mass an Menschlichkeit entgegen.
Text: Michael Messerli