1. Dezember 2017
Halle 622 – Zürich
Bands: Hurts / Tom Walker
Die Halle 622 in Oerlikon ist „pumpevoll“. Das heterogene Publikum ist entweder damit beschäftigt, sich mit Cüpli oder Bier einzudecken – oder, passend zur Jahreszeit, mit Glühwein, der an einem der Foodtrucks vor dem riesigen Gebäude ausgeschenkt wird – oder lauscht im Halleninnern der berauschenden Stimme Tom Walkers. Der Brite wirkt etwas verloren, nahezu alleine mit seiner Gitarre auf der riesigen Bühne (er wird von zwei Musikern im Hintergrund unterstützt), doch seine kraftvolle Stimme lässt die grosse Halle beinahe bersten. Der Überflieger aus Manchester spielt ein kurzes Set seiner grössten Hits – was sich auf nahezu jede Single des Singer-Songwriters bezieht – denn bis anhin ist noch kein komplettes Album erschienen.
Nach einer Pause verdunkelt sich der Saal und einige Gestalten betreten die Bühne. Zwei kraftvolle, weibliche Stimmen schallen durch den Raum, während sich weitere Umrisse gegen das schwache Licht abzeichnen. Die ersten Klänge füllen den Raum, und weiterer Applaus brandet auf, als nun noch zwei weitere männliche Gestalten auf der Bühne erscheinen. Adam Anderson und Theo Hutchcraft, zusammen Hurts, scheinen diese Begeisterung bereits zu kennen, denn ohne sich davon aus der Ruhe bringen zu lassen, eröffnen sie mit „Ready To Go“, erschienen auf ihrem neusten Album „Desire“ vor wenigen Wochen, ihr Set.
Mit bemerkenswerter Treffsicherheit schmettert Theo Hutchcraft dem Publikum Ton um Ton entgegen, während sein Partner Adam Anderson abwechslungsweise mit Gitarre, Klavier oder am Synthesizer seinen Beitrag leistet. Die Live-Band, bestehend aus Schlagzeuger, Bassist, zwei Sängerinnen und Keyboarder, wirkt gut eingespielt und die Zuschauer laben sich an den traumgleichen Melodien des Duos aus Manchester. Man merkt, dass Hurts mit ihrer Musik ein breites Publikum ansprechen und bereits einige Charterfolge erzielt haben, denn ein jeder scheint die Songs zu kennen und weiss die Texte mitzusingen. Ob es sich dabei um Stücke des aktuellen Albums „Desire“ handelt oder um Lieder ihrer vorhergehenden Alben, scheint keine Rolle zu spielen: Sowohl alt als auch neu findet grossen Anklang.
Theo Hutchcraft hält sich mit Ansprachen zurück. Neben gelegentlichen Worten des Dankes wird die Zeit ausschliesslich mit Musik gefüllt. Der gigantische Kronleuchter an der Decke und die riesigen Pfeiler auf der Bühne liefern, gemeinsam mit einer eindrücklichen Lichtshow, genau die richtige Atmosphäre für den oft schweren aber doch gut zugänglichen Synthie-Pop der Briten. Was die Stimmung etwas stört, sind die vielen, bei solchen Veranstaltung jedoch kaum noch wegzudenkenden Mobiltelefone, welche Ausschnitte des Konzertes für die Ewigkeit festzuhalten versuchen. In den Genuss, sich mit geschlossenen Augen der Musik hinzugeben und von den meist simpel gehaltenen Texten umschlossen zu werden, kommt man leider nicht, wenn die volle Aufmerksamkeit darauf gelegt wird, das Bild nicht zu verwackeln.
Der ernste und ansonsten eher wortkarge Sänger, stilsicher mit schwarzem Anzug und Seitenscheitel, lässt sich vor „Somebody To Die For“ doch zu einer kurzen Ansage hinreissen: „Wir werden jetzt mal einen Gang zurückschalten, weil ich ausser Atem bin.“ Dabei lockert ein kurzes Lachen die ansonsten doch sehr ernste Stimmung, und Adam Anderson stimmt das Lied alleine mit Akustikgitarre an. Hier erhält das Konzertpublikum die Chance, zu zeigen, wie gut es die Texte kennt. Der von tausenden Stimmen mitgesungene Refrain hinterlässt ein Gänsehautfeeling. Und dies trotz steigender Temperatur im Halleninnern.
Vor „Wonderful Life“, welches dem Duo vor bald neun Jahren globale Aufmerksamkeit verschafft hat, gibt es noch eine kurze Dankesrede für die Schweiz. Ansonsten zeigen sich Hurts, nebst einer kleinen Ansage vor „Something I Need To Know“, eher wortkarg. Obwohl sie mit einigen ihrer Musikvideos durchaus kritisch auf Gesellschaft und Konformität blicken und auch abseits der Bühne immer wieder Zeit für ein klares Statement finden , scheinen sie bei ihren Konzerten einzig die Musik sprechen lassen zu wollen. Vor wenigen Tagen erschien auf der Facebookseite des Duos ein langes Statement des Sängers zum Abspielen ihres Songs „Beautiful Ones“, welcher aufgrund seines Videos hohen Anklang in der LGBTQ-Szene fand, auf der Victoria’s Secret Fashion Show. Auf wortgewandte Art spricht Theo Hutchcraft sowohl zu (jungen) Frauen, welche sich nicht durch das in den Medien angepriesene Schönheitsideal beeinflussen lassen sollen, als auch zu Männern. Letztere fordert er auf, Gleichberechtigung in der Gesellschaft zu fördern und sich von der Gesellschaft nicht unter Druck setzen zu lassen.
Nach „Wonderful Life“ wird es nach einigen wenigen, scheinbar unkoordinierten, Klängen plötzlich dunkel auf der Bühne. Was zu Beginn noch für einen Gag oder einen Spezialeffekt gehalten wird, entpuppt sich als abruptes Ende des Konzerts: Ein etwas aufgewühlter Theo Hutchcraft betritt die Bühne und verkündet, sein Bandpartner und bester Freund Adam Anderson fühle sich nicht gut und könne nicht zurück auf die Bühne kommen. Zwar versicherte der Sänger, seinem Partner ginge es soweit gut, doch das Konzert könne ohne ihn nicht fortgesetzt werden. „Es tut uns so leid. Es ist eine schwierige Situation. Ich hoffe, ihr kommt alle gut nach Hause.“ Noch bevor Hutchcraft seine Rede ganz beendet hat, geht das Licht in der Halle an und entgeisterte Gesichter blicken um sich. Nach knapp einer Stunde ist das teure und lange erwartete Konzert vorbei – und tausende frustrierte und enttäuschte Konzertbesucher und -besucherinnen strömen nun zur Garderobe, um den verfrühten Heimweg anzutreten.
Text: Sarah Rutschmann
Bilder: Miriam Ritler