Human Rights Film Festival 2022
Kosmos – Zürich
Sonntag, 4. Dezember 2022
Text: Michael Bohli und Cornelia Hüsser
Wie formen wir die Welt? Wie strukturieren wir eine gerechte Gesellschaft? Was bedeutet es, als Einzelperson zu agieren? Das Human Rights Film Festival Zürich behandelte gewichtige und schwierige Fragen, mit selten eingenommenen Perspektiven und unterschiedlichen Stimmungen. Es bot sich immer an, das Kino Kosmos für ein paar Stunden zu besuchen und mit Dokumentar- und Spielfilmen die Weltsicht zu erweitern.
Die achte Ausgabe des HRFF bot viel Diskussionsstoff, der bei den Vorführungen mit Panels und Gesprächen behandelt und vertieft wurde. Eine bereichernde Erfahrung, auch 2022.
Freda
Land / Jahr: Haiti, Benin, Frankreich / 2021
Regie: Gessica Généus
Wie soll man als Generation eine Zukunft sehen, wie die eigenen Möglichkeiten in Flammen aufgehen? Freda untersucht dies aus der Perspektive einer jungen Frau, die in Port-au-Prince zwischen dunkler Vergangenheit, politischer Korruption und Aufständen ihren Weg zu gehen versucht. Die Situationen in Familie und Beziehung sind in den Unsicherheiten aber keine Hilfe, sondern Hürden.
Der Spielfilm von Gessica Généus beindet das persönliche Dilemma der Protagonistin in die lodernde Gegenwart Haitis ein, Aufnahmen der Proteste verbinden sich mit den inszenierten Aspekten. Das ist optisch gelungen und gut gespielt, doch leider weichen die anfänglich eingebrachten Diskussionspunkte zu Politik, Flucht und Gesellschaft mit der Zeit einem konventionellen Drama. Obwohl Freda berührt, wird man das Gefühl nicht los, dass hier mehr Tiefe möglich gewesen wäre.
Continental Drift (South)
Land / Jahr: Schweiz, Frankreich / 2022
Regie: Lionel Baier
Mit seinem dritten Film im Europa-Quartett begibt sich Regisseur Lionel Baier in den Süden nach Italien und lässt im Umfeld der Flüchtlingskrise in einem Lager für Asylant:innen persönliche Dramen, geopolitische Entscheidungen und Komik aufeinandertreffen. Continental Drift (South) wagt dabei viel, stolpert aber auch zu oft.
Die Geschichte um Nathalie Adler versucht sich als Satire auf die europäische Handlungsebene, als Kritik an den NGOs und Regierungsorganisationen, als Familiendrama und bricht zugleich die gewohnten Formeln von in Filmen dargestellten Liebesbeziehungen. Das hätte packend sein können, besonders dank der Besetzung und den schönen Aufnahmen, setzt aber auf den falschen Fokus und wirkt so, als müsse die Flüchtlingsthematik bloss als Rahmen für Slapstick und Streiterei zwischen Westeuropäer:innen hinhalten. In meinen Augen eine etwas unpassende Wahl für das HRFF.
Je Suis Noires
Land / Jahr: Schweiz / 2022
Regie: Rachel M’Bon, Juliana Fanjul & Kantarama Gahigiri
In Je suis noires setzt sich Rachel M’Bon nicht nur mit ihrer eigenen Identität als Schweizerin und Person of Colour auseinander, sondern porträtiert verschiedenste weibliche Schwarze Lebensrealitäten in unserem Land. Die Protagonistinnen erzählen von Unsicherheiten, Rassismuserfahrungen und der Suche nach dem eigenen Platz in der Welt, wenn man sich weder hier noch dort akzeptiert und zugehörig fühlt. Die Schilderungen gehen nahe, machen bisweilen wütend – insbesondere, wenn einem der allgegenwärtige strukturelle Rassismus bewusst gemacht wird. Eine spannende und wichtige Dokumentation aus der Schweiz.
Ethereality
Land / Jahr: Schweiz / 2020
Regie: Kantarama Gahigiri
Im Kurzfilm Ethereality geht ein Astronaut im Weltraum verloren und kehrt nach 30 Jahren zurück auf die Erde. Wie fühlt es sich an, in der Fremde zu sein, etwas zurückzulassen, wieder nach Hause zu kommen? Eine Reflektion über Migration und Heimatgefühl, verpackt in eine spannende Metapher.