Human Rights Film Festival 2020
Trotz physischer Distanz und Masken im Gesicht geht es uns allen gut. Man kann am Samstag im Kino Kosmos an der Ecke zur Langstrasse verweilen, man darf sich draussen vor dem Glühweinstand aufhalten. Umso wichtiger, rückt das Human Rights Film Festival die weltweiten Zustände wieder in Relation – was unangenehm wirkte. Nicht selten fühlte man sich nach den Screenings betroffen und schuldig, immer machte man sich nach einer Projektion Gedanken über das eigene Verhalten.
Gut so. Denn mit der Filmauswahl der sechsten Ausgabe hat das Team um Sascha Lara Bleuler einmal mehr bewiesen, dass dieses Festival nicht nur Eindrücke aus aller Welt nach Zürich bringt, sondern wie ein Spiegel funktionieren kann. Sozialpolitische Gedanken, Gespräche und Handlungen sind im Alltag immer wichtig, Abstimmungen und Initiativen noch mehr. Einbringen heisst das Stichwort, mit dem HRFF wird einem dies wieder bewusst.
Das komplette Programm ist hier zu finden.
A Thousand Cuts
Land / Jahr: Serbien, Frankreich, Deutschland / 2020
Regie: Ramona S. Diaz
Musik: Sam Lipman
Website: athousandcuts.film
Tausend kleine Messerstiche, bis das Opfer ausblutet – so ergeht es in den letzten Jahren der Demokratie auf den Philippinen. Im Mittelpunkt des Dokumentarfilms „A Thousand Cuts“ steht die Journalistin Maria Ressa. Schonungslos benennt und kritisiert sie die Regierung Rodrigo Dutertes, der mit seinem Drogenkrieg eine blutige Realität im Land schafft: Tag für Tag werden junge Menschen ermordet und auf der Strasse liegen gelassen, um der Bevölkerung das Gefühl einer schützenden Staatsmacht zu vermitteln – während die Drogenbosse selber, aus Angst vor Vergeltungsaktionen, meist verschont bleiben. Darüber hinaus deckt Ressas Online-Portal Rappler auch manipulierte Informationen und den systematischen Missbrauch sozialer Netzwerke zur Meinungsbeeinflussung auf.
Sie und ihre Mitarbeiter*innen riskieren damit nicht nur ihre Jobs, sondern – und das betrifft insbesondere Maria Ressa als Geschäftsführerin von Rappler – ihre Freiheit. Zweimal ist im Film zu sehen, wie sie verhaftet wird, und zwar ohne gesetzliche Grundlage. Im Sommer 2020 wurde sie der Verleumdung schuldig gesprochen, das Strafmass steht noch aus.
Im anschliessenden Gespräch mit Carlos Conde, Philippinen-Experte bei Human Rights Watch, wurde deutlich, dass die Situation von Rappler bzw. Maria Ressa nur symptomatisch ist. Die Unterdrückung von Meinungs- und Pressefreiheit hat auf den Philippinen System, Desinformation wird gezielt gestreut; die sozialen Medien haben diese Entwicklung nur weiter verstärkt.
Exil
Land / Jahr: Deutschland, Belgien, Kosovo / 2020
Regie: Visar Morina
Musik: Benedikt Schiefer
Website: komplizenfilm.de
Ist es wirklich die Missgunst gegenüber zugewanderten Menschen oder verfällt man als eingebürgerte Person in Deutschland selbst der Paranoia? Visar Morina untersucht diese Spaltungsfrage in seinem zweiten Spielfilm „Exil“ auf bedrückende Weise, mit einer Erzählung, die unter die Haut geht. Pharmaingenieur Xhafer muss sich am Arbeitsplatz nicht nur mit Mobbing auseinandersetzen, sondern mit Hass im Alltag und der scheinbaren Entfernung seiner Frau.
In schattenreichen Aufnahmen mit viel orangem Licht, mit Nahaufnahmen ohne mögliche Distanz, ist der Film mit seiner langsamen Erzählweise kein einfacher. Die Hitze und der Schweiss sind stets präsent, die Figuren wirken schmutzig und gemein. Immer stärker vermischen sich die Positionen von Opfer und Täter, zusammen mit Xhafer driftet man in den Wahn ab. Grossartig gespielt von Mišel Maticevic und Sandra Hüller, mit geschicktem Umkehrschluss am Ende durch die Kamera. „Wir müssen warten, bis das Licht angeht.“ Fragt sich nur, was dann noch übriggeblieben ist.
The Cave
Land / Jahr: Dänemark, Deutschland, Katar / 2019
Regie: Feras Fayyad
Musik: Matthew Herbert
Website: nationalgeographic.com
Mit jedem weiteren Dokumentarfilm über den Konflikt und seit Jahren andauernden Krieg in Syrien denkt man: Wann endet dies? Weder die beteiligten Parteien noch die weltweiten Organisationen sehen dringlichen Handlungsbedarf für den Frieden. Nur einzelne Personen sorgen unermüdlich für Humanität und Hilfe, wie die Kinderärztin Dr. Amani, welche für mehrere Jahre in Ost-Ghuta das unterirdische Krankenhaus „The Cave“ geleitet hat.
Feras Fayyad hat ihr mit dem gleichnamigen Film ein Portrait gezeichnet, das in loser Reihenfolge den Alltag im Spital zeigt. Die tägliche Angst vor Angriffen, die ewige Überforderung, der zusätzliche Kampf der Frauen gegen das weiterhin herrschende Patriarchat und die verbohrte Auslegung der Religion. Vergleiche mit „For Sama“ (Waad al-Kateab, Edward Watts) drängen sich auf, allerdings hat sich Fayyad an gewissen Stellen zu manipulativen Schnittfolgen und emotionalen Extremen hinreissen lassen. Bleibt trotzdem die Frage: Darf man solche Filme überhaupt werten?
Der Produktion wurde von Interfilm Schweiz am Festival den erstmals vergebenen Prix Célestine verliehen. Dies erfuhr der Regisseur selbst beim angehängten Skype-Gespräch, in dem er weitere Aspekte zum Dreh und der Situation im Land erläuterte.