Fjørt + Mr. Linus + Das blühende Leben
KIFF – Aarau / Stellwerk – Bern / Schüür – Luzern
9. – 11. November 2023
Text (+ Handyfotos): David Spring / Galerie (KIFF – Aarau): Manuela Haltiner
Es gibt Bands, die sind so unfassbar gut, dass ein einzelnes Konzert niemals ausreicht. Zum Beispiel die Aachener Post-Hardcore-Helden von Fjørt, deren Sound und Wortgewalt sowie die schiere Kraft und Eindringlichkeit alles in den Schatten stellen. Als das lautstarke Trio dann gleich drei Shows bei uns in der Schweiz ansagte, war schnell klar, dass diese auch alle besucht werden müssen, und so sind wir nun hier mit diesem Mini-Tourbericht.
Den Auftakt boten Fjørt im kuschligen Foyer des KIFFs in Aarau. Es sollten danach noch je eine Show im Stellwerk in Bern und in der Schüür in Luzern folgen. Das KIFF war dabei die kleinste Venue, und wie sich zeigen sollte, war die winzige Foyer-Bühne der perfekte Spielplatz für die unbändige Energie und Verausgabung der drei Kaiserstädter. Das noch relativ neue, schicke Stellwerk in Bern bot etwas mehr Platz und den wohl besten Sound, die legendäre Schüür wiederum war um einiges geräumiger, da hier auf der grossen Bühne gespielt wurde. So hatte man etwas mehr Platz, da es nicht ganz so voll war, und durfte die drei Jungs in voller Pracht beim Abrocken bewundern. Die drei Locations hätten nicht besser gewählt sein können und boten jedes Mal ein anderes Konzerterlebnis.
Bevor der Abriss startete, wurden wir in Aarau und Bern erst noch von den wahrhaftig vorzüglichen Lokalheld:innen von Mr. Linus beehrt. Der Sound des Trios passte hervorragend zum Hauptact: tiefgründige, deutsche Texte, zweistimmiger Gesang und düstere, nachdenkliche und emotionsgeladene Musik dazu. Sehr sympathisch war der feststellbare Unterschied zwischen den beiden Shows. Waren Gitarristin Anna Clavadetscher und Bassistin Rebecca Schelling in Aarau noch merklich aufgeregt und konnten es selber kaum fassen, mit wem sie hier eine Bühne teilen durften, hatten sich in Bern die Nerven dann etwas beruhigt. Dies führte zu einigen schönen Ansagen und prächtiger Stimmung auf und vor der Bühne.
Die mal melancholisch erdrückenden, mal erhabenen und erbauenden Songs passten perfekt zu diesen Konzertabenden. Speziell das geniale «Piratin / Alles oder nichts» kam mit der grossartigen Zeile «wir wollen das eigentlich nicht» live hervorragend an. So überzeugten Mr. Linus mit ihrem kurzen, aber intensiven Set enorm und etablierten sich einmal mehr als eine der ganz grossen Gruppen der heimischen Welt der lauten Klänge. In Luzern wiederum bestritt Das Blühende Leben den Support. Die Songs des Trios aus Mannheim waren merklich leichter und einfacher verdaulich, was nicht heissen will, dass sie weniger gut waren. Voller Energie und Spielfreude legten sie los, vor allem Gitarrist Tim fegte wie ein Derwisch über die Bühne.
Das Blühende Leben passten genauso gut ins Vorprogramm, wie Mr. Linus zuvor. Mit sympathischen Ansagen und grossartigen Songs wussten sie das Publikum in der Schüür für sich zu gewinnen. Die Tatsache, dass sie ihre T-Shirts nicht irgendwo herstellen lassen, sondern dass diese von der Mutter des Gitarristen handbestickt werden, sprach zudem Bände für das soziale Engagement der Band. Mit «Normal», einer fantastischen LGBTQI-Hymne, schlossen sie ihr Set fulminant und ebneten damit den Weg für Fjørt, die bei der Wahl ihrer Support-Acts wahrhaft hervorragenden Geschmack bewiesen.
Und dann war es endlich soweit! Die Setlist von Fjørt war jeden Abend dieselbe und den Auftakt machte jeweils das brutale «Schrot». Ein kurzes Intro mit viel Rauch und hellem Licht, und dann gab es kein Halten mehr. Unglaublich, mit was für einer Intensität Bassist David Frings und Gitarrist Chris Hell abgingen. Während in Luzern die grosse Bühne dafür genutzt wurde, so viele Laufmeter wie möglich hinzulegen, bot sich die winzige Kiff-Bühne für vollen Publikumskontakt an. Während Chris da von den Lüftungsrohren hing und gleichzeitig seine vernichtenden Riffs raushämmerte, ging David face to face mit der ersten Reihe und schrie den Leuten direkt ins Gesicht. Es war atemberaubend, elektrisierend und euphorisierend, mit welcher Vehemenz und Leidenschaft die Band jeden Abend eröffnete, unvergleichlich.
Mit «Südwärts» zeigten Fjørt ihre etwas langsamere, dafür umso heftigere Seite. Der Song zerstörte schon früh im Set sämtliche Nackenwirbel, bevor uns Chris feierlich begrüsste und gleich auch ermahnte, dass wir unbedingt aufeinander aufpassen sollen. Jeden Abend wies er uns darauf hin, dass es Menschen am Merch und der Bar gibt, falls irgendjemandem was passieren oder auffallen sollte – eine so simple wie wichtige Geste, die man gern öfter an Konzerten hören würde. Es folgten das wunderschön heftige «Anthrazit», bei dem Drummer Frank Schophaus fette Blastbeats ablieferte, und das beinahe erholsame «Magnifique», in welchem Fjørt ihre etwas gefühlvollere Seite zum Besten gaben.
Das Highlight des Sets, auf welches sich der Schreiberling hier jeden Abend besonders freute, war das vielleicht wichtigste Lied der Band überhaupt, welches von den beiden besten Songs der neuen Platte umrandet gespielt wurde. Das Dreigespann aus «kolt», «Paroli» und «Lod» war demnach an Drama, Wucht und schierer Kraft nicht zu übertrumpfen. Während der exzellente Text von «kolt» mir aus namenstechnischen Gründen sehr aus der Seele spricht, trifft die fantastische Anti-Rechts-Hymne «Paroli» den Zahn der Zeit wie kein anderes Fjørt-Lied. Wenn ein paar Hundert Menschen voller Inbrunst und Leidenschaft «Wir sind uns einig, dass wir euch keinen Meter weichen werden!» schreien, dann ist das ein Gänsehautmoment, der seinesgleichen sucht. Dass darauf dann noch das absolut vernichtende «Lod» –das mit Abstand brachialste Lied des Sets – folgte, war fast zu viel des Guten, einfach unglaublich.
Um uns danach kurz durchatmen zu lassen, gab es mit «Bonheur» ein paar etwas versöhnlichere Klänge, mit denen Fjørt jeden Abend den zweiten Teil des Sets einläuteten. «Fernost» und «Windschief» bewiesen, wie abwechslungsreich der Sound der Band ist, von luftigen Post-Punk-Passagen, introspektivem Shoegaze bis hin zu krassen Blastbeats und wüstem Geschrei war alles enthalten. Vor dem Selbstbestimmungs-Hit «Couleur» bedankte sich Chris für gewöhnlich kurz bei uns fürs Dabeisein. Fjørt sind keine Band, die zwischen den Songs viel erzählen muss, doch wenn sie etwas sagen, dann immer mit so viel Nachdruck und Wortgewalt, dass das Publikum jedes Wort förmlich aufsaugt.
Mit «Valhalla», dem einzigen Stück vom Debütalbum «D’accord», wurde das Set allabendlich fulminant abgeschlossen. Es versteht sich aber von selbst, dass danach Zugaben nötig waren. Mit «Sfspc» gab es nochmals ein rasantes Hardcore-Brett, nach welchem David Frings zu einer letzten, ausführlichen Ansprache ansetzte. Dabei sprach er uns direkt in die Seele und bedankte sich auf seine ganz eigene, wundervoll intensive Art. Mit dem emotionsgeladenen «Lichterloh» und natürlich dem obligaten «Lebewohl» setzten Fjørt dann zum finalen Akt an und verlangten sich selbst und uns nochmals alles ab. Ob im vollgestopften Kiff, im schicken und modernen Stellwerk oder in der altehrwürdigen Schüür, nach diesen unvergleichlichen anderthalb Stunden waren sämtliche Fans so euphorisch durchgerockt wie emotional fix und fertig.
Ein paar Tage später spüre ich meinen Nacken immer noch, genauso wie dieses melancholische Gefühl der Leere, weil alles bereits wieder passé ist. Diese drei Konzerte gingen wohl an niemandem spurlos vorbei, es war ein Privileg, eine solch fantastische Band wie Fjørt live erleben zu dürfen. Somit bleibt zu hoffen, dass dieser ausführliche Bericht allen, die dabei waren, die Erinnerungen noch etwas festigt, vor allem aber, dass das Lebewohl nicht so final bleibt, wie im abschliessenden Song. Danke an Mr. Linus und Das Blühende Leben, und danke vor allem an Fjørt. Ohne euch geht’s nicht mehr.
Setlist [Quelle: Setlist.fm]
- Schrot
- Südwärts
- Anthrazit
- Magnifique
- Kolt
- Paroli
- Lod
- Bonheur
- Fernost
- Windschief
- Couleur
- Valhalla
Zugaben
- Sfspc
- Lichterloh
- Lebewohl