Fantoche – Internationales Festival für Animationsfilm 2021
Diverse Orte – Baden
Website: fantoche.ch
Während am Fantoche Festival 2021 an den Wettbewerben die brandneuen Kurzfilme um die Gunst der Zuschauer*innen buhlen, bietet das Programm viele Möglichkeiten, sich mit älteren Aspekten der Animationswelt auseinanderzusetzen. Themenblöcke, wie dieses Jahr «Un monde fragile» mit besorgtem Blick auf die Welt, oder Retrospektiven wichtiger Namen aus dem Business sind eine vorzügliche Möglichkeit, das eigene Wissen zu erweitern und heutiges Filmschaffen mit den Wurzeln zu verbinden.
Besonders die Satochi-Kon-Retrospektive schlägt nicht nur einen wichtigen Bogen vom Japan der Neunzigerjahre ins Hollywood von heute, sondern offenbart den visionären Geist des verstobenen Regisseurs in unterschiedlichen Facetten. Oder man begibt sich gleich ins warme Wasser, nicht mit einem Sprung, sondern mit geniesserischem Rahmen. Das Bagno Popolare macht die Abende am Wochenende nicht nur entspannter, sondern bietet mit «Splish Splash» die passende Filmuntermalung. Los geht es heute Samstag um 21 Uhr.
Alle Informationen zum Festival findet ihr unter den folgenden Links:
Programm | Schutzkonzept | Tickets | Online-Streaming
Anomalisa
Land / Jahr: USA / 2015
Regie: Duke Johnson, Charlie Kaufmann
Website: imdb.com
Michael Stone hat ein ganz besonderes Problem: Alle Leute, denen er begegnet, haben die gleiche Stimme. Der Taxifahrer, der Concierge, seine Frau, sein Sohn – alle sprechen mit derselben Stimme. Es ist betrüblich. Besonders für ihn, einen erfolgreichen Ratgeberautor, der sich auf die Branche des Kundenservice spezialisiert hat; er, der Angestellten mit Sätzen wie «Der Kunde ist genauso individuell wie du» zur Erfolgssteigerung verhilft.
Im Film reist Stone gerade nach Cincinnati, um einen Vortrag zu halten. Er checkt in einem Hotel mit dem sprechenden Namen Fregoli ein, alles ist wie immer (also: im wahrsten Sinne des Wortes eintönig), und plötzlich hört er im Flur eine andere Stimme. Sie gehört Lisa, und Stone ist so überwältigt, dass er bereit ist, sein ganzes Leben für sie über den Haufen zu werfen.
Anomalisa spielt mit den Themen Individualität und Zerbrechlichkeit menschlicher Wahrnehmung. Die Settings – ein grosses, anonymes Hotel und Menschen, die anderen Menschen helfen sollen, ohne sie kennen zu wollen – sind clever gewählt. Der Handlung und den Bildern haftet etwas Traumhaftes und leicht Absurdes an, die Geschichte bleibt aber stringent und zugänglich. Ein toller und lohnenswerter Film.
Satoshi Kon, L’illusioniste
Land / Jahr: Frankreich, Japan / 2021
Regie: Pascal-Alex Vincent
Website: imdb.com
Als ich damals an der Schwelle zum neuen Jahrtausend in die weite Welt der Manga- und Animekultur eintauchte, waren Filme wie «Perfect Blue» oder «Millennium Actress» rasch ein Begriff. Fachzeitschriften und das Internet waren sich einig, diese Produktionen muss man gesehen haben. Für mich hat es bis zum 19. Fantoche Festival gedauert, diese Vorsätze endlich in Taten umzusetzen – dafür gleich als wunderbare Retrospektive inklusive erst vor kurzer Zeit fertiggestellter Dokumentation über Regisseur Satoshi Kon.
Mit «Satoshi Kon, L’illusioniste» wird das Leben des 2010 verstorbenen Künstlers neu beleuchtet, der Fokus liegt dabei auf seinen vier Langfilmen und der TV-Seire «Paranoia Agent». Chronologisch werden die Entstehungsgeschichten behandelt, neue Interviews mit wichtigen Personen aus der Anime-Welt (Mamoru Oshii, Megumi Hayashibara) und Regisseuren Hollywoods (Darren Aronowsky, Rodney Rothman) dürfen bekunden, welch grosser Einfluss Kon auf ihre Arbeit war. Leider aber bleibt die Dokumentation immer oberflächlich und begnügt sich mit den typischen, posthumen Lobpreisungen.
Die schwierigen Seiten Kons, sein spezielles Gebaren und seine undurchsichtige Person, werden in einigen Nebensätzen angeschnitten, ohne Tiefe zu erhalten. Das wird dem Ansatz einer umfänglichen Doku nicht gerecht und lässt die Schatten eines Illusionisten vermissen. Als Einstieg in dessen Welt gestaltet sich «Satoshi Kon, L’illusioniste» aber als guter Appetithappen und vermittelt einige interessante Fakten und Aspekte der Filme.
Tokyo Godfathers
Land / Jahr: Japan / 2003
Regie: Satoshi Kon
Website: imdb.com
Nachdem sich Satochi Kon mit seinen ersten beiden Filmen als Meister von erwachsenen und vielschichtigen Geschichten offenbarte, legte er mit «Tokyo Godfathers» eine bewusst leichte und humoristisch gehaltene Produktion vor. Inspiriert durch den John-Ford-Western «3 Godfathers» (1948), begleitet man drei Obdachlose durch das weihnächtliche Tokyo, auf der Such nach den Eltern eines ausgesetzten Kleinkindes.
Dieses Unterfangen stellt sich als komplex heraus, wird mit Elementen der Jesusgeschichte garniert und ist der Einstieg in das vielschichtige Wesen seiner Protagonisten. Die Stadt Tokyo wird von ihrer selten gesehenen und schmutzigen Seite gezeigt, der Sozialstaat findet sich im Visier der Kritik wieder. «Tokyo Godfathers» spielt nicht nur mit Kontrasten in der Erzählung, sondern lässt extreme Charakteranimationen auf eine realistische Umgebungsgestaltung treffen und hält während der gesamten Laufzeit die Balance zwischen Komödie und Drama auf vortreffliche Weise.
Paprika
Land / Jahr: Japan / 2006
Regie: Satoshi Kon
Website: imdb.com
Mit dem letzten Spielfilm von Satochi Kon, der mit nur 46 Jahren viel zu früh an Krebs starb, wurden alle Grenzen gesprengt. «Paprika» ist ein meisterhaftes Spiel um Realität, Traum und Vorstellung, eine Fantasie mit vielen Ebenen und geschickter Verschachtelung. Die Erzählung um das Gerät DC Mini, das Träume steuern und in andere Menschen einpflanzen lässt, ist Fantasy, Science-Fiction, Thriller und Krimi zugleich. Nicht nur die Charaktere im Film, sondern auch die Zuschauer*innen verlieren die Bodenhaften und lassen sich von den wechselnden Szenerien mitreissen.
Oft geschieht dies mehrmals in einer kurzen Sequenz, die Vorstellungskraft kapert die gewohnte Ordnung und sprengt alle Dimensionen. In bunten Bildern gezeichnet und mit eleganten und clever geschriebenen Steigerungen und Wiederholungen ausgestattet, ist «Paprika» ein Film voller philosophischer Aspekte, der nicht nur Kons Liebe zum Kino und Film ergründet, sondern seine Faszination mit der vielfältigen Darstellung einer einzelnen Persönlichkeit.
Sein Abschlusswerk ist bis heute ein Meilenstein des Anime und so gelungen, dass sich Christopher Nolan davon nicht nur zu «Inception» (2010) inspirieren liess, sondern gar eine ziemlich dreiste Kopie drehte.